LESERINNENBRIEFE :
Idyllisches Bild gezeichnet
■ betr.: „Freudenfeuer und andere Schüsse“, taz vom 12. 10. 12
Es ist richtig, dass die Kurden und auch viele Türken kriegsmüde sind. Aber sie haben ihre jüngere Geschichte nicht vergessen und engagieren sich weiter für ihre Rechte. In der Reportage von Jürgen Gottschlich über Diyarbakir wird über die Partei für Frieden und Demokratie (BDP), die wie in Diyarbakir in vielen kurdischen Kommunalparlamenten die Stimmenmehrheit hat, nur am Rande berichtet.
Jürgen Gottschlich nennt den Vorwurf Erdogans an die BDP, staatliche Parallelstrukturen im Auftrag der PKK zu errichten. Warum beschreibt er nicht die positiven Ansätze der kommunalen Selbstverwaltung und der Bürgerinitiativen, die bei uns so hoch geschätzt werden? Er sollte in seinen Berichten vermeiden, die BDP in die Nähe von Terrorismus zu stellen, wie es Erdogan und die türkischen Nationalisten immer wieder versuchen.
Im türkischen Sender IMC-TV kann man fast täglich hören, wie türkische Journalisten, Professoren und andere Intellektuelle ähnliche Lösungen der kurdischen Frage vorschlagen wie die BDP. Jürgen Gottschlich zeichnet zum Teil ein idyllisches Bild, das nur von der PKK immer wieder gestört werde. Im August war ich in der Provinzhauptstadt Dersim/Tunceli nördlich von Diyarbakir. Dort liegt mitten in der Stadt eine Kaserne, von der ständig Hubschrauber starten und landen. Ringsum auf den Bergen sind immer noch Beobachtungsposten des Militärs. Durch die Wohngebiete patrouillieren Tag und Nacht Soldaten im Schützenpanzer mit dem Finger am Maschinengewehr. JÜRGEN WESSLING, Hannover
Mitarbeiter sollen es stemmen
■ betr.: „Nach der Zwangsbehandlung“, taz vom 19. 10. 12
Wie bei vielen anderen Reformen auch ist die Sichtweise auf den Betroffenen sehr tunnelhaft.
In einer Akutstation genauso wie in einer Wohngruppe lebt der Patient nicht allein, sondern mit anderen Menschen zusammen, die die Konsequenzen einer Nichtbehandlung mit allen Sinnen begleiten dürfen, ob sie wollen oder nicht. Dem grundsätzlich positiven Ansatz stehen doch die Verantwortbarkeit, sprich Zeit, Personalkopfzahl und Geld/Ausstattung, gegenüber. Ähnlich wie beim „Werdenfelser Weg“ werden Arbeit und Geldeinsparungen von oben (Verwaltung) nach unten (Einrichtung/Station) verlagert – auf Kosten der Klienten und der Mitarbeiter. Aktuell gibt es weder eine Differenzierung der Regelungen auf einzelne Personen und Krankheits-/Behinderungsbilder noch die entsprechenden Mittel, sie in der Praxis umzusetzen. Die Mitarbeiter sollen dies aus bestehenden Ressourcen und Mitteln stemmen. HOLGER LAURER, Augsburg
Marktradikale Wirklichkeit
■ betr.: „Die armen Milliardäre“, taz vom 20. 10. 12
Ist ja schön geschrieben, aber können wir das alles nicht schon seit Jahren in der taz (und anderswo) lesen? Wenn es nämlich ernst wird mit dem Abbau der neoliberalen Ideologie, sind nicht nur Schwarz-Gelb, sondern ebenso marktbeflissen die grünen „Realos“ und die Stein-SPD eifrig mit auf der Matte, um die unselige marktradikale Wirklichkeit in Deutschland weiter festzuklopfen. Das Beispiel Bahn-Börsengang zeigte vor drei Jahren, dass der heutige Kanzlerkandidat Steinbrück als Finanzminister der entscheidende Verfechter von Privatisierung und Ausverkauf öffentlichen Eigentums war. Warum lesen wir in der taz immer wieder die ach so richtigen Kommentare der Damen Gaus und Hermann, ohne dass die SPD es auch nur für nötig hält, von ihrem Kandidaten zu verlangen, sich endlich einmal zu den verhängnisvollen Konsequenzen der neoliberalen Umgestaltung von Staat und Gesellschaft zu äußern und eine echte Alternative zu Merkel/Röslers Deregulierungsideologie anzubieten? DIETER SCHWARZ, Schwerin
Wenn es um Energiewende ginge
■ betr.: „Anstieg der Strompreise“, taz vom 20. 10. 12
So, ich präsentiere wieder eine Verschwörungstheorie: Die Strompreise steigen, um den Ausfall der Mineralölsteuer bei verstärkter Einführung der Elektrofahrzeuge auszugleichen! Überhaupt, wenn es um Energiewende ginge, würde dezentrale, regionale Energieerzeugung gesponsert, nicht diese großindustrielle Landschaftsverschandelung! HENDRIK FLÖTING, Berlin
Schutz der großen Stromkonzerne
■ betr.: „Energiewende mit Todesfolge“, taz vom 22. 10. 12
Derzeit wird immer wieder über steigende Strompreise berichtet. Angeblich, weil die erneuerbaren Energien so teuer sind. Tatsächlich sorgen aber die erneuerbaren Energien dafür, dass der Börsenpreis für Strom sinkt! Die Preissteigerungen für den Endkunden sind dagegen ganz maßgeblich politisch gemacht – und auch gewollt, um die sogenannte Energiewende zu torpedieren und damit letztlich in der öffentlichen Meinung in Misskredit zu bringen. Wie dumm muss man denn sein, wenn man einerseits über die teuren erneuerbaren Energien jammert, andererseits aber die günstigsten Methoden (Windkraft an Land) blockiert und wesentlich teurere Methoden (Offshore-Windanlagen) protegiert, wie es Umweltminister Altmaier gerade tut? Dahinter steckt letztlich nur ein Ziel: der Schutz der vier großen Stromkonzerne, die mit ihrem Kapital alle Parteien mit Geld und sonstigen Zuwendungen zuschütten (können).
Stefan Bluemer, Mülheim an der Ruhr