: Gegen Windmühlen
Der Kulturphilosoph Klaus Kufeld zieht gegen den Massentourismus zu Felde und setzt mit seiner Kritik da an, wo das Paradies erfunden wurde: in unserem eigenen Kopf
In dem Moment, in dem wir, die Westler, auf der Suche nach dem Paradies unseren Fuß auf fremden Boden setzten, sind wir auch schon dabei, die Paradiese zu zerstören. Idyllische Bergpfade werden durch Teerstraßen verdrängt, Kultur verkommt zur wiederholbaren Show und die unbeschwerten Einheimischen werden durch westliche Werte und globale Ökonomie geködert und korrumpiert. So weit so bekannt.
Der Kulturphilosoph und Reiseschriftsteller Klaus Kufeld steht ganz in der Tradition der alten Tourismuskritik. In seinem Buch „Die Erfindung des Reisens“ setzt er sich mit der Störanfälligkeit der Paradiese auseinander. Die „Konzentration auf die eigenen menschlichen und natürlichen Lebensbedingungen, die (noch) nicht durch wirtschaftliches Machtstreben und Ausbeutung der Natur pervertiert worden sind“, ist für den Kulturphilosophen Kufeld die Grundkonstante eines echten Paradieses. Und gerade diese stört der Tourismus.
Kufelds Lösung dieses Dilemmas zielt auf eine Neuerfindung des Reisens ab. Dafür muss der Urlauber mit sich selber ins Gericht gehen und die eigenen Wunschbilder kritisch hinterfragen. Dies soll zu einer Unvoreingenommenheit führen, die es wiederum ermöglicht, sich auf den Rhythmus der Ereignisse einzulassen und „die Welt aus der Tiefenschärfe ihrer Einzelheiten immer wieder neu zu entdecken“. So transformiert sich eine auf Hochglanz durchgeplante Ankunft in eine Poesie des Aufbruchs. Diese trägt auch der Ungewissheit und den Beschwerlichkeiten einer Reise Rechnung. Aus dem konsumorientierten, selbstsüchtigen Urlauber wird dann ein sanfter, ästhetisch orientierter Reisender. Er bemüht sich bescheiden, Land und Leute wirklich zu verstehen: Reisen als „Thema des aufgeklärten Menschen und damit als Bildungsfrage schlechthin“.
Natürlich sind die Motive des Autors weitreichend und ehrbar. Es wäre schön, wenn sich jeder Urlauber seine Ratschläge zu Herzen nehmen und mit den neokolonialen Mechanismen moderner Tourismusindustrie brechen würde. Doch Kufelds Welterklärung bleibt gefangen im eigenen Duktus. Zu sehr setzt er auf eine philosophisch-poetische Umsetzung seiner Kritik. Statt klarer Ansagen führt er immer wieder klassische (westliche) Reiseliteraten und Philosophen wie Goethe oder Orwell ins Feld, lässt ein postmodernes Problem durch die Poesie vergangener Jahrhunderte kommentieren. Nachdem man sich durch den schweren Stoff gelesen hat, bleibt am Ende das Gefühl, schon irgendwie verstanden zu haben, was einem der Autor sagen will, nur was tun?
Kufelds Erfindung des Reisens ist das Buch-gewordene romantische Wunschbild eines alternden Bildungsbürgers. Im Elfenbeinturm schreibt er an der Ballermann-Realität vorbei. Seine Erfindung des Reisens passt zwar in sanft-touristische Forderungskataloge, im Zeitalter des Billigfliegers werden wir dadurch aber kaum geläutert.
MAX ENZINGER
Klaus Kufeld: „Die Erfindung des Reisens – Versuch gegen das Missverstehen des Fremden“. Edition Splitter 2005, 108 Seiten, 24 €