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Archiv-Artikel

„Unsere Julia“ wird wiederkommen

In der Westukraine, wo Premierministerin Julia Timoschenko besonders beliebt ist, sehen die Menschen ihre Entlassung gelassen. Sie sind überzeugt, dass Timoschenko jetzt für die Parlamentswahlen im kommenden Jahr Kräfte sammeln kann

AUS LEMBERG JURI DURKOT

„Schade eigentlich für die Regierung, die wollten etwas machen. Die Oligarchen haben aber die schnellen Reformen verhindert.“ Für Ihor, der es liebt, auf dem Weg nach Lemberg hinter dem Steuerrad seines Taxis lange Monologe zu halten, wie für viele andere Ukrainer, ist die Regierungskrise das Thema Nummer eins. In der schon immer ziemlich stark politisierten Westukraine, wo die Unterstützung für Viktor Juschtschenko besonders hoch bleibt, umso mehr.

Doch auch die Premierministerin Julia Timoschenko ist hier äußerst beliebt. „Unsere Julia“ wird sie überall genannt, ihre Energie und ihr Charme in Verbindung mit einer guten Portion Populismus kommen gut an. Ihre Entlassung nehmen ihre Anhänger gelassen, sie sind überzeugt, dass sie nun weiter punkten kann. „Diesmal wurde sie verraten, sie wird aber die Parlamentswahlen im kommen Jahr gewinnen“, sagt ein junger Mann mit dem Logo der Timoschenko-Partei „Batkiwschyna“ am Ärmel.

So einfach ist es sicherlich nicht. Über die Korruptionsvorwürfe in der Umgebung von Juschtschenko haben die Medien zuletzt allerdings immer häufiger berichtet. Die angekündigte Trennung von Wirtschaft und Politik blieb bisher aus. Sogar die in der ukrainischen Verfassung vorgeschriebene Trennung von Amt und Mandat wurde von einigen Ministern ignoriert. Und der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Petro Poroschenko, der in der Vergangenheit ein kleines Wirtschaftsimperium aufgebaut und Juschtschenko im Wahlkampf tatkräftig unterstützt hatte, konnte seinen Einfluss immer weiter ausbauen. Neulich hat ihn die polnische Zeitschrift Wprost mit einem geschätzten Vermögen von 350 Millionen Dollar auf die Liste der reichsten Osteuropäer gesetzt. Poroschenko war der Hauptrivale von Timoschenko und für viele der Inbegriff eines „neuen Oligarchen“.

Doch auch Timoschenko geht nicht mehr als lupenreine Kämpferin gegen die Oligarchen durch. Ihre Politik erinnerte zuletzt immer stärker an einen Rachefeldzug, ein vernünftiges Wirtschaftsprogramm fehlte. Sie wollte den Oligarchen ihre illegal erworbenen Fabriken wieder wegnehmen, verschreckte aber gleichzeitig seriöse Investoren. Steigende Preise sorgten zudem für Unmut in der Bevölkerung. „Kartoffeln kosten in diesem Jahr schon zwei Hrywnja das Kilo, dreimal so viel wie im Vorjahr. Und der Benzinpreis steigt von Tag zu Tag“, klagt Ihor.

Deswegen betrachten viele die Entscheidung des Präsidenten als einen Befreiungsschlag. „Juschtschenko konnte doch nicht anders, es war unmöglich, nur Poroschenko zu entlassen. Vielleicht ist nun ein richtiger Neuanfang möglich“, meint Oleh, der in seiner Wechselstube am Rande der Stadt sitzt, dort wo die Straße nach Kiew beginnt. Ein guter Standort, das Geschäft läuft, fast im Minutentakt kommt jemand, um ein Paar Dollar oder Euro zu wechseln. Ganz in der Nähe bieten mehrere Frauen Gurken und Tomaten feil, der Bauernhof ist um die Ecke.

Um die Wechselstube vor acht Jahren aufzumachen, musste Oleh Schmiergeld zahlen. Dann hatte er immer wieder Probleme mit bestechlichen Beamten, im vergangenen Jahr waren die dreisten Erpressungspraktiken kaum mehr zu ertragen. Die Feuerwehr verweigerte ohne Bakschisch die Unterschrift, das Finanzamt wollte zusätzlich zu der erhobenen Steuer noch was drauf – „sonst bekommen Sie Ärger mit der Finanzpolizei“.

Oleh stand im vergangenen November zusammen mit allen auf dem Majdan, bei der wiederholten Stichwahl schrieb er sich sogar als Wahlbeobachter ein, obwohl er sich für die Politik nicht unbedingt interessiert. Nach der Revolution verbesserte sich zunächst die Lage, es war vorbei mit den Schikanen. Doch vor wenigen Wochen bekam Oleh wieder Ärger. „Ich musste wieder 150 Euro Bakschisch zahlen, um die Lizenz verlängern zu lassen“, sagt Oleg empört – und haut mit der Faust auf seinen Tisch aus billigem Sperrholz.