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Archiv-Artikel

„Schön war es erst danach“

JENS REICH wurde hin und her kommandiert

Von BOE

„Ich habe weder vorher noch nachher vor einer solchen Menschenmenge gestanden – das hat mich ziemlich verunsichert. Und obwohl da eine halbe Million Menschen standen, war das keine graue Masse. Wenn man sich umschaute, konnte man jedes einzelne Gesicht erkennen. Und die Zwischenrufe. In der ersten Reihe waren Leute, die mich ausbuhten und hässliche Sachen riefen. Ich wusste nicht, wie man vor einer halben Million Menschen spricht, wenn die eigene Stimme aus dreißig Lautsprechern widerhallt. Spricht man schnell oder langsam? Laut oder leise? Das hat mich alles gehemmt.

Wir, die Redner und Organisatoren, hatten eine Kneipe für uns abgesperrt. Die Stimmung da drin war ganz anders als die auf dem Platz – den Riesenspaß draußen mit Performances und Parodien haben wir gar nicht mitgekriegt. Bei uns war es sehr angespannt. Wir wussten alle nicht, wann wir dran waren, und wurden hin und her kommandiert. Wir stolperten hinter ihnen her, aus der Kneipe raus, auf den Lkw und von dort auf die Bühne. Die Hochstimmung kam für uns erst hinterher. Nach meiner Rede stand ich draußen mit Bärbel Bohley. Markus Wolf kam zu uns und sagte, dass wir doch ab jetzt zusammenarbeiten müssten. Da ist Bärbel emotional hochgegangen, und wir haben uns abgewandt.“ PROTOKOLL: BOE

Jens Reich

Geboren 1939. Er studierte Molekularbiologie an der Humboldt-Uni und war ein Autor des Aufrufs „Aufbruch 89 – Neues Forum“.