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Archiv-Artikel

Klein und flexibel

BEST PRACTICE 16 GründerChampions stellen sich auf der deGUT vor: etwa mit Technik, Medien, Verantwortung. Ein Überblick

Komplexe technische Lösungen bilden einen Schwerpunkt auf der diesjährigen Messe

VON MIRKO HEINEMANN

Die Idee kam Karl Kolmsee auf einer Reise durch das Amazonas-Gebiet. Dort sind viele Häuser nicht an das Stromnetz angeschlossen. Der Ingenieur erkannte das Potenzial der vielen Flüsse. „Natürlich könnte man dort einen Staudamm errichten“, so Kolmsee, „aber die Auswirkungen auf die Umwelt wären fatal.“ Kolmsee verfolgte einen anderen Ansatz: Er entwickelte ein Kleinstwasserkraftwerk für den Heim- und Hausbedarf. Das Gerät besteht aus einer Turbine mit zwei Schwimmern aus Kunststoff, ist 330 Kilogramm schwer und kann auch in unwegsame Regionen transportiert werden.

Acht Menschen sollen ausreichen, um die Turbine in das Gewässer einzusetzen, je nach Fließgeschwindigkeit werden bis zu fünf Kilowatt Strom erzeugt – ausreichend für eine kleine Ortschaft oder eine Werkstatt. Sein Start-up-Unternehmen Smart Hydro Power hat erste Kraftwerke bereits in Länder wie Bangladesch, Brasilien, Indonesien und Pakistan ausgeliefert. Kolmsee setzt auf „Nachhaltigkeit durch ökonomische Integration“, wie er sagt: „Wichtig ist, dass Strom hier produktiv wird. Es wird nicht nur Licht produziert, sondern eine Werkstatt betrieben. Oder es kann, wie demnächst in Brasilien, eine Schokoladenmanufaktur an einem Ort entstehen, wo vorher nur Kakao angebaut wurde.“

Smart Hydro Power aus Feldafing ist eines von 16 jungen Unternehmen, die auf den diesjährigen Gründer- und Unternehmertagen (deGUT) in Berlin ausgezeichnet werden. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vergibt dort für jedes Bundesland einen Titel „GründerChampion“ an Unternehmer, „die eine innovative Geschäftsidee mit gesellschaftlicher Verantwortung verbinden“. Aus dem Pool werden drei Bundessieger ermittelt.

Ein Unternehmen gründen und die Welt verbessern – diesem Ziel hat sich auch die Autarcon BmbH aus Hessen verschrieben. Zur Lösung des Trinkwasserproblems in Ländern des Südens haben Florian Benz und Alexander Goldmaier ein Fördersystem für Frischwasserquellen entwickelt. Das Wasser wird mechanisch gefiltert, aus den im Wasser vorhandenen Salzen wird elektrolytisch Chlor hergestellt und das Wasser keimfrei gemacht. Das System wird mit Sonnenstrom betrieben.

Ein anderes Unternehmen zeigt, wie man Abfälle aus Kunststoff, Gummi oder Bitumen in Rohöl emissionsfrei zurückverwandelt: Pyrum Innovations ESC aus dem Saarland hat die Thermolyse verfeinert: Dämpfe von organischen Substanzen werden aufgefangen und wieder verflüssigt. Ein Teil des entstehenden Gases wird zu Strom, um das System anzutreiben.

Komplexe technische Lösungen bilden einen Schwerpunkt bei den diesjährigen Gründer- und Unternehmertagen. Es werden Test- und Prüfsysteme vorgestellt, Laserbeschichtungen als Korrosionsschutz für Schweißnähte, Fender, die Schiffe vor dem Aufprall am Kai schützen. Recycling-Lösungen für Photovoltaik-Module und Lithium-Ionen-Akkus. Eine Firma aus Sachsen verbessert Produktionsprozesse mit Hilfe von Automatisierung, eine andere stellt weltweite Datenleitungen für den international operierenden Mittelstand zur Verfügung. Auch ein Fahrradhersteller ist dabei: Schindelhauer Bikes aus Magdeburg setzt auf Handarbeit. Keine Kette, sondern ein Zahnriemen treibt die puristischen Räder an.

Medienanwendungen bilden einen weiteren Schwerpunkt. Die Firma explainity aus Lüneburg entwickelt Strategien und Werkzeuge zur Komplexitätsreduktion von Medieninhalten, KIDS interactive aus Thüringen produziert interaktive Lern- und Spielanwendungen für Kinder, etwa Webseiten, Lehr- und Lernprogramme und interaktive Applikationen für den Schulunterricht. Cliplister aus Kiel machen den Einkauf im Internet zu einem haptischen Vergnügen: Über eine zentrale Video-Plattform können Hersteller Videos zu ihren Produkten bereitstellen.

Aus Brandenburg kommt die Easy Listen GmbH, die ein Tonbearbeitungsverfahren zur Verbesserung der Sprachverständlichkeit entwickelt hat. Das softwarebasierte System wurde extra für Senioren und Schwerhörige entwickelt und soll in Kino- und TV-Produktionen zur Anwendung kommen. Die Werbeagentur Elbkind aus Hamburg führt digitale Kampagnen für Großkunden wie Mercedes Benz, Rügenwalder Mühle, Ritter Sport, Edeka und Telekom durch. Elbkind, so die Begründung für die Auszeichnung als „GründerChampion“, setze nicht auf den „schnellen Schuss mit Social Media“, sondern auf einen „langfristigen, sinnvollen Einsatz der digitalen Kanäle und Möglichkeiten“.

Der Integration von benachteiligten Personen in den Arbeitsmarkt hat sich die auticon GmbH verschrieben. Das Berliner Unternehmen setzt auf die besonderen Stärken von Mitarbeitern, die auf dem ersten Arbeitsmarkt häufig benachteiligt sind: Gründer Dirk Müller-Remus beschäftigt Asperger-Autisten, die in Unternehmen als IT-Consultants eingesetzt werden. Durch ihre analytischen Stärken seien sie für IT-Testing-Projekte und Aufgaben in der Qualitätssicherung besonders begabt, da sie über ein ausgeprägtes logisches Denkvermögen und eine hohe Detailgenauigkeit verfügen. Innerhalb von fünf Jahren will Müller-Remus fünfzig Stellen schaffen.