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Archiv-Artikel

Die große Kunst des Pessimismus

Die Philadelphia Phillies gewinnen ein World-Series-Spiel. Doch die Stadt wartet auf die Niederlage

Der Bewohner Philadelphias neigt zum Pessimismus. Vor allem wenn es um die sportlichen Vertreter der Stadt geht. In Philadelphia ist das Glas immer halb leer. Auch nach einem Sieg, wie er den Philadelphia Phillies im fünften Spiel der World Series gelang. 8:6 bezwangen sie die New York Yankees und verkürzten die Endspielserie auf 2:3-Siege.

Allerdings, und das macht den Menschen in Philadelphia große Sorgen, müssen die Phillies heute Nacht in New York antreten. Und selbst wenn sie wider Erwarten gewinnen sollten, müssten sie morgen noch einmal im Yankee Stadium siegen, um den im vergangenen Jahr wider alle Erwartungen gewonnenen Titel zu verteidigen.

Ein unmögliches Unterfangen, wird ihnen jeder bestätigen, der aus Philadelphia stammt. Der Enquirer, die lokale Tageszeitung, feierte denn auch nicht euphorisch den Sieg, sondern meldete melancholisch, die Phillies seien „noch am Leben“. Und Bob Ford, der Baseball-Experte des Blattes, verkündete deprimiert: „Der nächste Sieg für die Phils wird noch schwerer.“

Die wenig optimistische Einstellung der Fans aus Philadelphia rührt daher, dass der Titel aus dem vergangenen Jahr der erste eines lokalen Klubs seit einem Vierteljahrundert war. Zuvor hatten sich nicht nur die Phillies, sondern auch die Flyers (Eishockey), Eagles (Football) oder 76ers (Basketball) nur blamiert oder waren tragisch gescheitert.

Momentan macht den Phillies-Fans zu schaffen, dass Cliff Lee den Erfolg am Montag sicherte. Der Pitcher ging nach sieben starken Innings erst vom Wurfhügel, als der Sieg festzustehen schien. An sich eine schöne Sache, aber, mosert der überall Unbill witternde Philadelphier, Charlie Manuel hätte Lee schon tags zuvor aufs Feld schicken sollen. Der Phillies-Manager aber befand, sein Star bräuchte die vier Ruhetage, die einem Starting Pitcher traditionsgemäß zustehen, damit sein malträtierter Arm wieder zu Kräften kommt.

Am Ende der Saison in den Playoffs aber, erst recht in den World Series, werfen die besten Pitcher immer wieder „on short rest“, nach nur drei Tagen Pause. Ob das allerdings sinnvoll ist, darüber wird seit Jahrzehnten heftig diskutiert. Denn für jeden, der so Gesundheit und Karriere riskierte und zum Helden wurde, gibt es viele, die ohne die nötige Erholung bitter versagten. Am Montag war das A. J. Burnett, der Gegenspieler von Lee. Den nahm Yankees-Manager Joe Girardi nach nur zwei Innings aus dem Spiel. Am Donnerstag hatte Burnett die New Yorker noch zum Sieg geworfen, aber drei Tage Pause waren wohl nicht genug – für ihn jedenfalls.

Die verschiedenen Strategien der beiden Manager könnten vor allem in einem alles entscheidenden siebten Spiel zum Tragen kommen. Sollten die Phillies (wider Erwarten natürlich) heute gewinnen, könnten die Yankees morgen mit C. C. Sabathia ihren mit Abstand besten Pitcher ins Rennen schicken. Der hat zwar die Auftaktpartie gegen Lee verloren, aber dafür Spiel Nummer vier gewonnen – nach nur drei Tagen Ruhe. Lee allerdings dürfte in einem siebten Spiel kaum zur Verfügung stehen – und wenn, dann höchstens in der größten Not für ein oder zwei Innings. Es ist also alles irgendwie scheiße in Philadelphia. Es ist also alles wie immer. THOMAS WINKLER