Ein Abend mit Merkel

Die Kanzlerkandidatin der CDU beim Hamburg-Gastspiel auf dem Gänsemarkt: Routiniert, ohne zu langweilen und ohne zu begeistern

„Wenn wir nicht siegen, kommt statt der Großen Koalition Rot-Rot-Grün“

Von Marco Carini

Man muss sich an den Gedanken noch gewöhnen: Da steht sie nun vor einem, die neue Kanzlerin. Im nadelgestreiften Anzug, frisurverbessert und – greifen wir voraus – inzwischen auch fast versprecherfrei. Rund 600 ZuhörerInnen säumen den Gänsemarkt, um der CDU-Hoffnungsträgerin beim Hamburger Wahlkampfhöhepunkt der Union zu applaudieren.

Die offenbar unvermeidlichen Deutschlandfahnen werden geschwenkt, die verteilten Farbschilder, die Botschaften wie „Wechsel wählen“, „Angie“ oder – motivierender – „Halt durch!“ verkünden, werden brav in die Höhe gehalten.

Die ebenfalls unvermeidlichen Merkel-KritikerInnen sind weit an den Rand des Platzes abgedrängt. Greenpeacer gegen Atom, die BUND-Jugend gegen Käfighaltung von Legehennen und die vereinzelten Träger von Juso-Fahnen und Linkspartei-Plakaten fristen an diesem Nachmittag ein Schattendasein – ihr permanentes Pfeifkonzert verkommt schnell zur Geräuschkulisse, an das sich die Ohren gewöhnen, wie an den sonoren Verkehrslärm einer vielbefahrenen Straße. Nur einmal, als Polizeibeamte ein an einem Geländer hoch über dem Gänsemarkt angebrachtes Protestplakat entfernen, tritt die akustische Protestkulisse in den Vordergrund.

Pünktlichkeit gilt als deutsche Tugend. Und so beginnt die Kandidatin ihren Auftritt keine Minute zu spät, beendet ihre auf eine Stunde terminierte Rede nach 55 Minuten gar überpünktlich. Am Ende der Wahlkampf-Tournee sitzt jeder Satz, jede Redewendung. Merkel braucht kein Manuskript, routiniert, ohne zu langweilen, aber auch ohne zu begeistern, spult sie ihren Streifzug durch die deutsche Politik herunter.

Ihr Problem: Dank Merkels hoher Fernsehpräsenz ist jede in die Rede eingearbeitete Pointe schon bestens bekannt. Spontaner Witz ist nicht Merkels Metier. Alles klingt nach dem Fersehduell der beiden Kandidaten, nur dass Schröder diesmal fehlt.

Die Sozialdemokraten – verantwortlich für den wirtschaftlichen Niedergang, Schuldenberg oder Arbeitslosigkeit, gefangen in einem Wahlkampf, der nur „Ängste schürt“. Die Grünen – sie werden von Merkel genauso mit Ignoranz gestraft wie alle ökologischen Themen. Die Spitzenkandidaten der Linkspartei, von der Kandidatin nur „PDS“ genannt – zwei Fahnenflüchtige, die „getürmt“ und „abgehauen“ seien, als sie die Chance gehabt hätten, mitzugestalten.

Die CDU hingegen: so wirtschafts- wie familienfreundlich und vor allem – so Merkels meistverwendetes Attribut – „gerecht“. Familien durch geringere Steuerbelastungen und geringere Rentenbeiträge fördern, die Wirtschaft von Arbeitskosten und bürokratischen Hemmnissen entlasten, sich „zur Leistung bekennen“, so den Aufschwung fördern und Arbeitsplätze schaffen – lautet das bekannte Programm der Kandidatin.

Die umstrittene Mehrwertsteuererhöhung als Beleg dafür, „dass wir schon vor der Wahl sagen, was kommt“ und uns nicht „der Kette versprochen und dann gebrochen“ hingeben. Und dann, die sinkenden Umfragewerte fordern ihren Tribut, auch ein Merkel-Versprechen mit Versprecher. „Wenn die Linke und die FDP – ich meine natürlich CDU und FDP – keine Mehrheit bekommen, dann wird es keine Große Koalition geben, sondern mit Sicherheit Rot-Rot-Grün“.

Ein Versprechen, an dem sich Merkel wohl wird messen lassen müssen.