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Archiv-Artikel

Gefüttert bis zum Hungertod

Jessica-Prozess: Angeklagter Vater räumt Mitschuld ein, Mutter behauptet, ihre Tochter regelmäßig versorgt zu haben. Das glaubt jedoch nicht mal ihr Verteidiger

Im Mordprozess gegen die Eltern der verhungerten Jessica hat auch der angeklagte Vater seine Mitschuld am Tod des Kindes eingeräumt. Vor dem Landgericht sagte gestern eine Kripo-Beamtin als Zeugin, in seiner Vernehmung bei der Polizei habe der 49-Jährige erklärt: „Wir haben beide gleich Schuld“ und „Ich hätte mich mehr um das Kind kümmern müssen.“

Zu Prozessbeginn hatte er erklären lassen, er wolle in der Verhandlung nicht aussagen. Dagegen hatte die Mutter vor Gericht bereits ihre Schuld an Jessicas Tod zugegeben. Die Staatsanwaltschaft wirft beiden Angeklagten vor, die Tochter durch böswillige Verletzung der Fürsorgepflicht gemeinsam umgebracht zu haben. Zuletzt war das Mädchen ohne ausreichend Nahrung und Wasser in einem verdunkelten Zimmer gehalten worden und vor einem halben Jahr verhungert.

Jessicas Mutter indes will das Kind bis zu dessen Tod regelmäßig gefüttert haben. Gestern sagte die 36-Jährige aus, dreimal am Tag habe sie der Siebenjährigen mit einer Babyflasche zu trinken gegeben. Das Kind sei zudem mit Grießbrei und Banane gefüttert worden, „bis es passiert ist“.

Der Vorsitzende Richter Gerhard Schaberg sagte zu dieser neuen Aussage, sie stehe auch im Widerspruch zum Gutachten eines Rechtsmediziners. Demnach habe das Kind lange Zeit nicht richtig zu essen bekommen und sei lange nicht aus der Wohnung gekommen. Bei seinem Tod sei das siebenjährige Mädchen auf dem Stand einer Dreijährigen gewesen. Der Richter erinnerte die Angeklagte an ihre Aussage bei der Polizei, wonach Jessica bereits „drei Monate vor ihrem Tod nicht mehr vorzeigbar“ gewesen sei: „Sie wollen sie bis zum Schluss dreimal gefüttert haben? Dabei wollen sie auch bleiben?“ Die Angeklagte antwortete mit „Ja.“

Ihr Verteidiger entgegnete der 36-Jährigen, es sei jedem im Gerichtssaal klar, dass Jessica verhungert sein muss. Es könne nicht sein, dass die Mutter das Kind gefüttert hat. „Doch, ich bleibe dabei“, sagte seine Mandantin.

An einem späteren Verhandlungstag soll der Verteidigung zufolge eine Zeugin verdeutlichen, dass es sich bei der Angeklagten um eine „schwer traumatisierte Persönlichkeit“ handelt. Die Frau habe sich am 31. August bei der Polizei gemeldet und ausgesagt, Jessicas Mutter sei als Kind das Opfer von Missbrauch und Misshandlungen geworden. Der Onkel der Angeklagten habe die damals Sechsjährige dazu gezwungen, ständig unter der Bettdecke zu liegen. Habe das Kind nur den Kopf hervorgesteckt, sei sie „an den Beinen hervorgezogen und mit dem Kopf auf den Boden geschlagen“ worden. Die Angeklagte selbst berichtete, vom Onkel „betatscht“ worden zu sein, an diese Misshandlungen könne sie sich aber nicht erinnern. LNO/TAZ