Vom Tellerwäscher zum Halfpipe-Ego

Runter von den Surfbrettern, rauf auf die Skateboards: Der Film „Dogtown Boys“ erzählt, wie aus dem legendären Zephyr Team Rock-’n’-Roll-Stars und Skate-Rebellen wurden. Ein Subkulturdrama, das zum Heldenepos werden muss

Da sind ein paar schlaksig pubertierende Jungs, vollkommen pickelfrei und hübsch langhaarig, aus dem abgeranzten Armenviertel von Venice in Kalifornien. Vor der Schule heizen sie auf dem Skateboard zum Strand, barfuß auf den Brettern und das Surfboard unter dem Arm. Dann wird zwischen den Stelzen eines verrottenden Piers um die beste Welle gekämpft und am Nachmittag dann der sleazy Surfstyle einfach aufs Skateboard übertragen. Ein Surfshop-Inhaber mit gutem Riecher, die Erfindung von weichen Skateboardrollen und eine die Pools der Reichen austrocknende Hitzewelle sind eine Verkettung glücklicher Umstände: Aus diesen Jungs wird das legendäre „Zephyr Team“, das den staksig aufrechten Kunststückchen-Stil der Sechzigerjahre zum Alteisen befördert und Skateboarding zu einer butterweichen, an Surfästhetik geschulten Stylerei werden lässt.

Als das Zephyr Team 1975 beim Bahne-Cadillac-Contest antritt, schaut die Skatewelt noch verdutzt aus der Wäsche. Als die Jungs 1976 ihren ersten großen Artikel im Skateboarder-Magazin bekommen, der sie beim Poolsurfen zeigt – lange bevor man so etwas wie Ramps und Halfpipes kannte –, werden Rock-’n’-Roll-Stars geboren. Stars, die Sport- und Subkulturgeschichte schreiben und deren Namen noch heute vielen hehr in den Ohren klingeln: Tony Alva, Stacy Peralta, Jay Adams …

Ohne jede Frage hat die Geschichte des Films „Dogtown Boys“ eine Menge von dem, was eine gute Story braucht: Tellerwäscher werden zu Millionären, Egos plustern sich auf, Freundschaften zerbrechen – Jungs werden fast zu Männern, und zwar mit einem gerüttelt Maß an Rebellion, Rasanz, Coolness, Sex und Pioniergeist. Ja, so schön kann Popkultur sein, und noch schöner ist sie, wenn sie wirklich so passiert ist und erst dann in ein perfekt ausgeleuchtetes Stück Kino gegossen wird. „Dogtown Boys“ hat das Glück – oder das Pech –, dass seine Authentizität doppelt abgesichert ist: Der vom Skateboard-Unternehmer zum Filmemacher mutierte Stacy Peralta hat die Geschichte seiner Rollbrett-Adoleszenz erst vor vier Jahren mit der wunderbar klaren und wenig pastosen Dokumentation „Dogtown und Z-Boys“ schon einmal erzählt – und damit gleich Publikums- und Regiepreis beim Sundance Festival abgeräumt. In diesem Sommer allerdings verbeugte er sich dann mit „Riding Giants“ leider arg ehrerbietig vor seinen Helden des Big-Wave-Surfens. Jetzt hat er das Drehbuch für „Dogtown Boys“ geschrieben.

Klar hätte Hollywood mit der Story der Teenage-Skate-Rebellen – Frauenheld Alva, Stinkefinger Adams und Schwiegermutterliebling Peralta – auch derberen Schindluder treiben können. Man ist fast erleichtert, dass „Dogtown Boys“ nur eine Fiction-Umsetzung des Peralta-Dokfilms sein will und sehr nah an den Bildern bleibt, die Peraltas Zeitzeugen-Interviews und Archivmaterial-Verwurstungen schon generiert hatten. Die Darsteller sind den Protagonisten von damals wie aus dem Gesicht geschnitten. Die Settings decken sich mit den Originalschauplätzen aufs Schönste. Tony Alva selbst hat die Schauspieler im Dogtown-Skatestil trainiert.

Sehr vorhersehbar besteht das Surplus des Spielfilms aus mehr Skate-Action fürs Auge und sein Minus aus mehr Emotionalien fürs Herz – mehr Jungsgruppendynamik, mehr Eifersucht, mehr Gewalt, mehr Partydekadenz, Jugendsprech und Liebeskabale. Es ist ein schnittiges Filmchen geworden, das viel verrät über die magnetische Anziehungskraft des „Damals ist es passiert“. Mindestens genauso viel verrät es aber auch über die traurige Notwendigkeit, dass Subkulturgeschichte im Spielfilm immer zum Heldenepos werden muss.

KIRSTEN RIESSELMANN

„Dogtown Boys“. Regie: Catherine Hardwicke. Mit Emile Hirsch, Victor Rasuk, John Robinson, Heath Ledger, Johnny Knoxville, 107 Min., USA 2005