ARNO FRANK über GESCHÖPFE
: Was bringt die Zukunft?

Manchmal erzählen Eingeweide mehr als Zahlen. Es kommt nur auf die Frage an!

Eine launische Diva war sie immer schon. Stets drängte sie in den Mittelpunkt, wo sie sich meistens in rätselhaftes Schweigen hüllte – was ihre Verehrer natürlich rasend machte. Pessimisten sahen in ihr nur „schwarz“, Optimisten immerhin einen „Silberstreif“. Fachleute forderten, man müsse sie „sichern“ wie einen Tatort, um sie danach „aktiv gestalten“ zu können. Manche wollten in ihr sogar „blühende Landschaften“ entdeckt haben, aber das waren romantische Hochstapler. Aber die Zukunft ist eben eine ziemliche Zicke.

Je wichtiger verlässliche Voraussagen sind, umso weniger lassen sie sich prognostizieren. Schon gar nicht in einem Wahlkampf, bei dem Politiker um Wähler werben, die sich vor der Zukunft fürchten, um sie in eine Zukunft führen zu dürfen, in der jeder seine Zukunft selbst in die Hand nehmen muss. Schlimm.

Wären wir heute nicht mit der ehrwürdigen Disziplin der Demoskopie gesegnet, wir würden wohl kollektiv durchdrehen. Fast stündlich bringen uns Meinungsforscher auf den neuesten Stand der Zukunft. Ohne die splitternackten Zahlen der Demoskopen wäre der Ausgang der Wahlen heute noch ein Rätsel.

Wie arbeitet ein Demoskop? In einem sehr komplizierten Verfahren befragt er einen Teil der Bevölkerung, destilliert aus den Antworten endlose Zahlenkolonnen, in deren Anblick er sich dann so lange versenkt, bis er auf ARD oder ZDF mit der nüchternen Aura der Unbestechlichkeit die „aktuellen Prognosen“ verkünden kann.

Klar, konkurrierende Institute treffen manchmal konkurrierende Vorhersagen. Auch soll es schon vorgekommen sein, dass sich eine mühevoll konstruierte Wechselstimmung plötzlich in etwas ganz anderes verwandelt. Oder wenn wankelmütige Mehrheiten sich bei der Wahl ganz anders verteilen als erwarten. Dann ist oft die Arbeit von Monaten futsch.

Aber Rückschläge gehören zur Forschung. Die antiken Vorläufer der Demoskopen beispielsweise befragten nicht das Volk, sondern stützten sich auf repräsentativere Quellen. Ob ein Feldzug in die Hosen gehen würde oder nicht, das verkündeten die Auguren mit der nüchternen Aura der Unbestechlichkeit, nachdem sie sich in den Anblick fliegender Vögel versenkt hatten. Eine altmodische Methode mit vielen Tücken, gewiss. Also verlegte man sich bald darauf, die Vögel einzufangen, aufzuschneiden und anhand der Leber präzise Voraussagen zu treffen. War kein Vogel zur Hand, durfte es auch ein Schaf sein. Das römische Militär befragte lieber eine Schar „heiliger Hühner“, aus deren Fressverhalten sie so ihre Schlüsse zogen.

Diese oft sehr komplizierten Kulthandlungen hatten sakralen Charakter und waren von beschwörenden Gebeten begleitet („Wie wir von einer repräsentativen Umfrage im Gekröse dieses Kranichs wissen …). Auguren, offiziell Priester, dienten dabei den Politikern – wenn sie nicht gleich selbst welche waren. Genau wie die Demoskopen von heute!

Leider ist die Zukunft auch nicht mehr das, was sie mal sein wird. Ob wir in feuchten Eingeweiden oder in trockenen Statistiken nach ihr forschen – was dabei herauskommt, ist in beiden Fällen vornehmlich Scheiße.

Fotohinweis: ARNO FRANK GESCHÖPFE Fragen zur Zukunft? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN