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Archiv-Artikel

Gewaltige Ungerechtigkeit

Vietnamesin soll das Sorgerecht für ihre Kinder an ihren Ex-Mann verlieren, obwohl der sie mehrfach geschlagen hat. Frauenzentrum: kein Einzelfall

Hang K. ist 1,47 Meter klein und schmächtig. Vor ihr auf dem Tisch liegen vier Aktenordner voll mit amtlichen Schreiben: Darunter sind Protokolle über Polizeieinsätze in ihrer Wohnung nach körperlichen Auseinandersetzungen zwischen der Vietnamesin und ihrem deutschen Ehemann. Sie zeigt auf eine Verfügung der Polizei, die den Mann der Wohnung verwies, um seine Frau vor ihm zu schützen.

In einem anderen Ordner liegt ein Gutachten des Familiengerichts über die Erziehungsfähigkeit der Vietnamesin. Sie und ihr Mann wollen sich scheiden lassen. Weil er die alleinige elterliche Sorge über die Kinder im Alter von drei und fünf Jahren beantragt hatte, muss das Gericht klären, wer von beiden Elternteilen besser erziehungsfähig ist. „Der Kindesvater hat allein aufgrund seiner deutschen Sozialisation, seinem familiären Umfeld und seiner Vergangenheit Stabilität gezeigt“, schreibt die Gerichtsgutachterin. „Aufgrund der instabilen Verfassung der Kindesmutter“ empfiehlt die Gutachterin, dem Vater das alleinige Sorgerecht zu übertragen. Wahrscheinlich wird das Familiengericht ihrer Empfehlung folgen. Mit der taz wollte die Gerichtsgutachterin nicht sprechen.

In ihrem Gutachten erzählt sie von einem liebevollen Vater und Ehemann, der die Kinder aus der Kita geholt haben will, wenn seine Schicht das zuließ. Dass die Kitaerzieherinnen eine Einschätzung über den Vater ablehnen, weil sie ihn nicht kennen würden, fällt der Gutachterin nicht als Widerspruch auf. Sie hatte sich sehr viel Zeit für den Vater genommen, hatte auch seine Eltern angehört. Anders als für die Mutter: Die ersten Gespräche fanden trotz ihrer schlechten Deutschkenntnisse ohne Dolmetscher statt.

Im Hinblick auf die Schläge folgt die Gutachterin der Version des 1,80 Meter großen Mannes, er hätte seine Frau aus Notwehr geschlagen und sie vor Selbstverletzungen schützen wollen. Auch die Betreuerin des Jugendamtes Treptow-Köpenick lobt im Gutachten die Kooperationsbereitschaft des Vaters und bezeichnet die Mutter als emotional labil. Auf Nachfrage will das Jugendamt jetzt den Vorgang durch eine Leiterin noch einmal „in sachlicher und fachlicher Verantwortung prüfen lassen“.

Hang K. hat Tränen in den Augen, wenn sie von den Schlägen spricht. „Er hat mich auf mein rechtes Auge geschlagen, so dass ich dort nur noch zehn Prozent Sehkraft habe.“ Sie zeigt auf die Diagnose eines Augenarztes, der frische Hämatome und die geringe Sehkraft bestätigt. Dass die Sehkraft durch die Schläge verloren ging, ist jedoch nicht erwiesen: Der Mann hatte gegenüber der Gutachterin von einem Motorradunfall seiner Frau gesprochen, bei dem sie ihr Augenlicht eingebüßt haben soll. Mit den Medien spricht er nicht. Ein Strafverfahren gegen ihn wurde gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt, doch er wurde aus der Wohnung verwiesen.

Janina Argilagos arbeitet beim Multikulturellen Frauenzentrum „S.U.S.I.“ in Mitte und kennt ähnliche Fälle von gescheiterten binationalen Ehen, in denen der deutsche Ehemann trotz Gewalt das alleinige Sorgerecht erhalten sollte oder erhielt. „Wir haben ein Muster erkannt“, sagt sie. „Wir haben sehr oft gehört, dass der Mann die Frau in Abhängigkeit hält, dass er vielleicht verhindert, dass sie Deutsch lernt, sie möglicherweise schlägt.“ Oft drohe er schön während der Ehe, er würde die Kinder erhalten, sollte es zur Trennung kommen. Trennt sich die Frau dennoch, befindet sie sich in einer schwierigen emotionalen Situation, so Janina Argilagos. „Ihr soziales Umfeld bricht zusammen. Wenn in dieser Situation ein psychologisches Gutachten gemacht wird, oft ohne Dolmetscher, dann kommt es zu dem Ergebnis, die Frau sei psychisch instabil und nicht erziehungsfähig.“ Für Argilagos ist das ein „empörendes Ergebnis. Wir haben mehrere Male erlebt, dass die wirklichen Ressourcen dieser Frauen in den Gutachten nicht erkannt werden und den Kindern ein Leben bei einem lieblosen Vater zugemutet wird.“ Viktoria Lokau vom Verband internationaler Familien und Partnerschaften machte eine ähnliche Erfahrung: „Bei Gutachtern und Jugendämtern ohne interkulturelle Kompetenz haben ausländische Mütter schlechte Karten.“ MARINA MAI