: „Kein Handlungsbedarf für den Gesetzgeber“
Eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe wäre unverantwortlich, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Josef Winkler. In Ländern wie Holland und Belgien, wo dies geschehen sei, drohe nun eine Prozesslawine
taz: Herr Winkler, wie oft stehen Angehörige in Deutschland vor einer ähnlichen Entscheidung wie die Berlinerin Brigitte R., die dem Leben ihres im Wachkoma liegenden Sohn ein Ende gesetzt hat?
Josef Winkler: Es gibt viele Patienten, die im Dauerkoma liegen. Aber Fälle wie diesen gibt es sehr wenige. Das ist ein tragischer Einzelfall. Deshalb sehe ich auch keinen Handlungsbedarf für den Gesetzgeber.
Sie finden es richtig, dass die Mutter vor Gericht gezerrt worden ist?
Es geht nicht um Zerren. Ich kann das Urteil nicht bewerten. Aber es scheint ja so zu sein, dass die Tragik des Krankheitsverlaufs und die Einzelfallumstände vom Gericht zu Gunsten der Angeklagten gewertet worden sind. Wir – die Fraktion Bündnis 90/Grüne – hielten es für einen großen Fehler, wenn man die Tötung auf Verlangen straffrei stellen würde. Das hat eine Minderheit in der Enquete-Kommission des Bundestags ja durchaus schon gefordert. Wir vertreten die Meinung: Das ist eine Grundsatzentscheidung über Leben und Tod, die nicht Sache des Gesetzgebers ist.
Kann man immer von einem Verständnis der Justiz für die Betroffenen ausgehen?
Alles andere wäre höchst gefährlich, sosehr man sich das im Einzelfall vielleicht wünschen mag: In Ländern, wo eine entsprechende Gesetzesänderung vorgenommen worden ist, ist es zu regelrechten Dammbrüchen gekommen.
Sie spielen auf die Niederlande und Belgien an?
Ja. Dort haben die Fälle dramatisch zugenommen, seit die aktive Sterbehilfe liberalisiert worden ist. Die Fälle von aktiver Lebensbeendigung gehen mittlerweile in die tausende. Es wird demnächst eine ganze Reihe von Prozessen geben, in denen der Frage nachgegangen werden muss, ob die Sterbehilfe rechtmäßig war. Das ist auch ein Schlag in das Gesicht all derer, die ihren Angehörigen nicht „behilflich sind, ins Jenseits zu kommen“, sondern deren Leben als lebenswertes Leben betrachten. Eine Legalisierung würde bedeuten: Der Staat ist zu aktiver Sterbehilfe verpflichtet und sollte dazu womöglich auch noch das medizinische Personal zur Verfügung stellen.
Die Rede ist hier wohlgemerkt von einer Tötung auf Verlangen.
Ob es ein Verlangen ist, ist nicht mit Sicherheit feststellbar. Das ist eine subjektive Entscheidung der Person, die sich am meisten mit dem Kranken beschäftigt. Ich bin von Beruf Krankenpfleger und habe mit solchen Patienten auch schon gearbeitet. Wer sich mit Leuten beschäftigt hat, die im Wachkoma liegen, weiß, dass es sehr wohl Lebensäußerungen gibt. Man spürt, wenn es ihnen besser oder schlechter geht. Aber ich halte es für fahrlässig, eine generelle Regelung dafür finden zu wollen. INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE