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Ein Kamel wird verboten

Neue Bildsprachen, viele Verbote, Propagandabilder, Pathos, Realismus und Humor: Im jungen Medium Film fand die Oktoberrevolution ein breites Echo. Das Zeughauskino zeigt eine spannende Auswahl

Von Fabian Tietke

Die Oktoberrevolution brachte vor hundert Jahren auch gleich mehrere Wellen filmischer Revolutionen mit sich. Zu ihrem ersten Jahrestag (nach gregorianischem Kalender am 7. November) realisierte der Dokumentarfilmpionier Dziga Vertov einen filmischen Rückblick auf ein bewegtes Jahr. Seine Montagen nahmen die prägende Ästhetik sowjetischer Filmkunst der Jahre bis zum Tonfilm vorweg und wurden zu Vorboten einer Revolution der Art, wie man Bilder benutzt und liest: die Bedeutung der Filmbilder lag nicht länger in den Bildern selbst, sondern wurde begleitet, kommentiert und bisweilen konterkariert von der Montage, die die Bilder zueinander in Bezug setzte.

Die Methode zeitigte vielerlei Ausarbeitungen: Sergei Eisenstein übertrug diese Methode in Spielhandlungen und realisierte so einige der bekanntesten Filme jener Zeit wie den „Panzerkreuzer Potemkin“. Barbara Wurm, die unlängst eine Dissertation über den sowjetischen Kulturfilm der 1920er Jahre fertiggestellt hat, hat für das Berliner Zeughauskino das Kino der Oktoberrevolution nachgezeichnet und dabei aus dem Vollen ihrer Kenntnisse geschöpft. Herausgekommen ist eine Filmreihe, die aus den unzähligen Schauen anlässlich des 100. Jahrestags der Oktoberrevolution durch kluge Zusammenstellungen und zahlreiche Fundstücke heraussticht.

Der große Weg einer Schneidemeisterin

Angesichts der Bedeutung der Montage für den revolutionären sowjetischen Film wundert es nicht, dass eine der wichtigste Regisseurinnen jener Jahre als Schneidemeisterin anfing: Esfir Schub begann ihre Filmtätigkeit damit, bei der Produk­tions­firma Goskino vorrevolu­tio­näre Filme und Filme aus dem Ausland für den Einsatz in der Sowjetunion umzuschneiden. 1927 trat sie mit gleich zwei eigenen Filmen hervor: „Der Fall der Dynastie Romanow“ und „Velikij put’“ (Der große Weg). Während der erste aus der Perspektive der Bolschewiki den Niedergang der Romanows nachzeichnet, verkündet „Der große Weg“ den Sieg der Revolution in die weite Welt.

Die Zeiten waren produktiv: Der ukrainische Regisseur Mykola Shpykovskyi, in den 1920er Jahren berühmt für seine Komödien, drehte 1929 ebenfalls zwei Filme. In „Shkurnyk“ zeigte er einen permanent auf sich selbst bedachten und eben darin permanent scheiternden Kleinbürger zwischen den Fronten des Bürgerkriegs, der auf die Revolution folgte. Dabei ertappt, Zuckerkonserven einzusammeln, die von einem Wagen gefallen sind, wird Apollon Shmygueva eingespannt, um einen Versorgungswagen mit einem Kamel als Zugtier zu fahren. Shmy­gueva wird aufgegriffen und samt Wagen in die nächste Stadt eskortiert. Während die Beratungen darüber laufen, wie der Zucker verteilt werden soll, verkauft Shmygueva die Konserven an illegale Händler. Das eingenommene Geld versteckt er im Futtersack des Kamels. Es kommt, wie es kommen muss: „ährend Shmygueva schließlich zum örtlichen Kommandanten gebracht wird, hängt ein Soldat dem Kamel den Futtersack vors Maul, und Shmyguevas Einnahmen verschwinden mitsamt dem Futter in dem Kamel.

„Shkurnyk“ fand bei den Zensoren keinen Gefallen und Shpy­kovskyi sollte sich mit einem Film über die Kollektivierung von Land bewähren. 2013 wurde der damals entstandene Film „Khlib“ (Brot) schließlich in Odessa aufgeführt. „Khlib“ ist ein teils delirant-minimalistisches Meisterwerk. Zentrale Szene des Films ist eine Aufnahme aus der Vogelperspektive, wie das Land eines Grundbesitzers mit einem Pflug diagonal geteilt wird. Shpykovskyis Film entstand zeitgleich mit dem heute bekannteren und visuell ebenso brillanten „Zemlia“ (Erde) von Oleksandr Dov­zhenko über das gleiche Thema, der ebenfalls verboten wurde.

Als Anfang/Mitte der 1930er Jahre der Tonfilm auch in der Sowjetunion Einzug hält, entwickeln sich neue Formen: Boris Barnet skizziert 1933 mit der ihm so eigenen Nonchalance den Ersten Weltkrieg aus der Perspektive der Bewohner einer Vorstadt in „Okraina“ (eben: Vorstadt) und balanciert zwischen Tragik, absurdem, lakonischem Humor und Pathos. Kurz darauf legten Georgi Vasiliev und sein Namensbruder Sergei Vasiliev mit ihrer filmischen Actionbiographie „Capaev“ (Tschapajew) den großen Modellfilm für den sowjetischen Realismus vor. Zugleich stand „Capaev“ jedoch mitten im Mainstream europäischen Filmschaffens der 1930er Jahre, in unzähligen Ländern gab es einen Drang zum heroi­sierenden historischen biografischen Film.

Barbara Wurms Filmreihe „1917. Revolution“ ordnet Filme wie Barnets „Okraina“ oder „Capaev“ klugerweise in eine Traditionslinie mit den Revolu­tions­filmen ein, um so die Diskursverschiebung sichtbar zu machen, die sich im sowjetischen Kino ebenso wie in der Politik vollzog.

1917. Revolution, bis zum 3. Dezember im Zeughauskino

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