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Archiv-Artikel

NORWEGEN: SOZIALDEMOKRATEN VERDANKEN ERFOLG IHREM LINKEN KURS Von Oslo lernen

So etwas gibt es also tatsächlich noch in Europa. Sozialdemokraten, die achteinhalb Prozent zulegen können und es von den Oppositionsbänken in die Regierungssessel schaffen. Ein Geheimrezept aus Oslo vielleicht, von dem sich Schröders Wahlkampfstrategen noch schnell etwas abkupfern können?

Entschieden wurde die Wahl in Norwegen jedenfalls mit einem Thema, das auch für die Stimmabgabe vieler deutscher WählerInnen derzeit maßgeblich ist. Der Umbau des Sozialsystems, die Verlagerung öffentlicher Funktionen hin zu privaten Marktlösungen. Dass im reichsten Land Europas, dessen Staatshaushalt buchstäblich im Ölgeld schwimmt, sich eine solche Debatte auf einem anderen Niveau bewegt als in Deutschland, dem Fußkranken der EU, macht für die Selbstwahrnehmung der Betroffenen keinen entscheidenden Unterschied.

Was die Norweger Stoltenberg & Co mit ihrem Slogan der „neuen Solidarität“ meinten, dafür präsentierten sie stellvertretend einen 99-jährigen Genossen: Haakon Lie, zwischen 1945 und 1970 Regisseur eines Vierteljahrhunderts sozialdemokratischer Wahlerfolge und „grand old man“ der Partei. Von der Sozialbehörde war ihm ein Anspruch von genau 50 Minuten Staubsauge- und Putzhilfe, 15 Minuten Abwasch und fünf Minuten Staubwischen pro Woche bewilligt worden. Ein Zeitschema, aus dem jeder menschliche Faktor eliminiert worden war – Altenhilfe als Produktion. So soll unser Sozialstaat nicht enden, sagten die Sozialdemokraten.

Die Perspektive Produktivität contra Menschenwürde bewegte die NorwegerInnen, auf dieses Thema setzten die norwegischen GenossInnen, ohne zum Thema Menschenwürde das Ausgraben Hartz-IV- und Arbeitslosengeld-II-ähnlicher Skelette im Keller fürchten zu müssen.

Norwegens Sozialdemokraten sind mit einem historisch gesehen schlechten Ergebnis wieder an die Macht gekommen. Die Ursache für das tiefe Loch, in welches sie in den letzten Jahren gefallen waren – bei Wahlen vor zwei Jahren wären sie auf gerade 14 Prozent gekommen –, hieß totaler Glaubwürdigkeitsverlust. In Scharen zur Linkspartei und den Rechtspopulisten davongelaufen waren ihnen die WählerInnen wegen des Eingehens einer großen Koalition mit den Konservativen und einem wild zwischen Neoliberalismus und traditionellen sozialdemokratischen Werten schwankendem Kurs. Parteichef Stoltenberg hat ihn nun konsequent nach links ausgerichtet. Vielleicht lässt sich daraus in Berlin ja etwas lernen. REINHARD WOLFF