: Der Durchsichtige
JOBS SPD-Kanzler-kandidat Steinbrück verteidigt seine 1,2 Millionen Euro Nebeneinkünfte: Er habe der Finanz- industrie die Leviten gelesen
■ Zahlreiche Bundestagsabgeordnete verdienen oft kräftig nebenher. Seit 2009 sollen mehr als 22 Millionen Euro durch Zusatzeinkünfte kassiert worden sein. Spitzenreiter ist die CSU, dort haben 68 Prozent der Parlamentarier Extraeinnahmen. Bei der FDP sind es fast 60 Prozent, in der CDU rund 55 Prozent. Bei SPD, Grünen und Linkspartei haben lediglich rund 20 Prozent bezahlte Nebenjobs.
■ Laut abgeordnetenwatch.de folgen auf Peer Steinbrück: Michael Glos (CSU) mit mindestens 546.000 Euro; Heinz Riesenhuber (CDU) mit mindestens 380.000 Euro; Rudolf Henke (CDU) mit 315.000 Euro; Frank Steffel (CDU) mit mindestens 288.000 Euro; Peter Wichtel (CDU) mit 218.000 Euro; Franz-Josef Holzenkamp (CDU) mit mindestens 213.000 Euro; Norbert Schindler (CDU) mit mindestens 211.000 Euro; Patrick Döring (FDP) mit mindestens 185.000 Euro; Rolf Koschorrek (CDU) mit mindestens 183.000 Euro und Michael Fuchs (CDU) mit mindestens 155.500 Euro. (dapd)
VON STEFAN REINECKE
BERLIN taz | Der SPD-Kanzlerkandidat in spe schaut grimmig. „Ich gehe damit weit über die bisher geltenden Transparenzregeln hinaus“, sagt Peer Steinbrück. Eigentlich liegt ihm, was er gerade tut: Vorneverteidigung. Steinbrück ist wegen seiner üppigen Honorare für Vorträge in die Kritik geraten, jetzt will er den Spieß umdrehen. Er hat einen Wirtschaftsprüfer beauftragt darzulegen, was er seit 2009 als Exfinanzminister für Vorträge bekommen hat.
Die Summe ist beeindruckend: mehr als 1,2 Millionen Euro. Die Auftraggeber lesen sich wie das Who’s who der Finanzindustrie: J. P Morgan und die Deutsche Bank, Hypovereinsbank, Citigroup, Sal Oppenheim Bank und die Unternehmensberatung KPMG.
Doch auch andere buchten diesen Redner: der Arbeitgeberverband der Chemieindustrie und eine Möbelfirma – für einen Vortrag in Bad Neuenahr „im Rahmen der Küchen-Kompetenz-Tage“. Das Standardhonorar betrug 15.000 Euro.
Steinbrück selbst erklärt, er zähle damit unter den Politikern und Expolitikern keineswegs zu den Gutbezahlten, eher zum Mittelfeld. So möchte der SPD-Kanzlerkandidat diese Zahlen gedeutet wissen: Nichts Spektakuläres, eher Mittelfeld. Den Wirtschaftsprüfer bezahlt er privat.
Weil Steinbrück nun alle Einkünfte aus Vorträgen seit 2009 auf Euro und Cent offenlegt – die Buchhonorare nicht, die gehen laut Steinbrück niemand etwas an – zeigt er Selbstbewusstsein: „Ich möchte ein Beispiel geben, das konkurrierende Parteien im Bundestag aufnehmen sollten.“ Er fühlt sich persönlich angegriffen, schützt sich und schlägt zurück, das ist der Eindruck, der vermitteln werden soll. So ist am Dienstagmorgen im Willy-Brandt-Haus sehr viel von „ich“ die Rede. So wechselt er aus der Position des Angegriffenen, der so viel wie kein zweiter Bundestagsabgeordneter nebenher verdient hat, zur Angriffspose.
„Ich habe mich immer an die Transparenzregeln gehalten“, behauptet der SPD-Kandidat. Das stimmt nicht so ganz. Ohne Anflug von Zerknirschung berichtet Steinbrück, dass die Wirtschaftsprüfer festgestellt haben, dass er zwei Honorare nicht ordnungsgemäß beim Bundestagspräsidenten gemeldet hat. Am 13. Oktober 2011 bekam er von der Kerkhoff Consulting 8.000 Euro, am 19. Oktober 2011 bekam er 15.000 Euro von der Südwestbank in Stuttgart. „Beide sind unverdächtig“ erklärt Steinbrück, was vermuten lässt, dass es auch verdächtige Auftraggeber gibt. Zur Erklärung des Versäumnisses erläutert er: „Ich habe es einfach verschwitzt.“
Die Bild-Zeitung hatte den Bericht des Wirtschaftsprüfers vorab von der SPD erhalten und schon am Dienstag veröffentlicht. Das Blatt beschrieb Steinbrücks Nebenjobs recht wohlwollend. Die Nachricht, dass die zwei Vorträge im Oktober 2011 fehlten, ließ die Springer-Zeitung großherzig aus und berichtete dafür, dass der SPD-Mann einige Honorare an die Beratungsstelle pro familia und an einen Jazzclub gespendet habe.
PEER STEINBRÜCK
„Ich habe keine Abhängigkeiten bedient“, sagt Steinbrück. „Die Verdächtigungen“, dass er von den üppigen Honoraren beeinflussbar gewesen sein könnte, „sind absurd.“ Das ist der Kern seiner Verteidigung. Wer seinen Schilderungen folgt, muss sogar erkennen, dass das Gegenteil der Fall war. Demnach können wir uns den vortragsreisenden Exfinanzminister als einer Art SPD-Robin-Hood vorstellen, der von den Reichen nimmt und Bedürftigen (gelegentlich) gibt. „Ich habe der Finanzindustrie die Leviten gelesen“, so Steinbrück vollmundig. Es sei geradezu seine politische Pflicht, Milieus, „die der SPD nicht nahestehen“, mit der sozialdemokratischen Ideenwelt vertraut zu machen. Und das kann niemand so gut wie Peer Steinbrück, dem die Gabe der Rhetorik überreich verliehen ward.
Damit erledigt sich der zweite Vorwurf wie von selbst – nämlich dass der SPD-Abgeordnete aus Mettmann seine Parlamentspflichten allzu lässig nahm. 2009 und 2010 fehlte er bei sieben namentlichen Abstimmungen im Bundestag. Dies trug ihm Gerüchten zufolge einen Ermahnung von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ein. Doch Steinbrück weiß: „Abwesenheit im Bundestag sagt nichts über politische Präsenz aus.“
Allerdings gibt es eine offene Flanke in dieser Transparenz-Offensive, die der SPD-Kanzlerkandidaten nicht schließen kann. Parteichef Sigmar Gabriel hatte vorneweg vorsichtshalber schon mal erklärt, dass kein Sozialdemokrat wegen der gutdotierten Nebenjobs des Exfinanzministers „die Stirn runzeln wird“. Der SPD-Linke Ralf Stegner widersprach: Die GenossInnen würden die Summe von 1,2 Millionen Euro aus Nebenjobs „immer skeptisch sehen“.
Auf die Nachfrage, ob die Nebenjobs seine Chancen, Kanzlerzu werden, schmälern, reagiert der Kandidat im Berliner Willy-Brandt-Haus dünnhäutig. „Ich war auch arbeitslos und kenne Zeiten, in denen ich sehr wenig Geld verdient habe“ erklärt er recht barsch. Im Übrigen versteht er überhaupt nicht, warum „ein Sozialdemokrat bei seinen Verdienstmöglichkeiten anders behandelt wird als andere.“ Unterhaltungskünstler verdienten doch auch viel. Das ist ein Problem – nicht des Abgeordneten, sondern des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück.
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