Lustgeschrei des Hirten

KABARETT Pfarrer Neserke tritt in Kreuzberg auf

Als der neue Pfarrer von Ueberau im hessischen Odenwald bei einer alten Dame im Dorf klingelte, empfing sie ihn herzlich: „Ah, Sie sind der neue Pfarrer! Ich habe Sie gleich an Ihrem Schwanz erkannt.“ Gemeint war der blonde Pferdeschwanz, den Ingmar Neserke trug. Der evangelische Geistliche überrascht mit solchen Gags leicht. Denn solch derbes Zeug erwartet man kaum in einem Programm, das sich selbst „Kirchenkabarett“ nennt. Pfarrer Neserke ist der einzige Kirchenkabarettist Deutschlands, den die Kirche mit der Hälfte seines Dienstauftrags freigestellt hat, damit er sich auch dem Kabarett widmen kann, halbberuflich.

Der 42-Jährige, der nun im arg gottlosen Berlin auftritt, ist regulärer Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Seit zehn Jahren steht er auf der Bühne, erst im politischen, dann im Kirchenkabarett. Es findet meist in Gemeindehäusern statt und lebt – nicht nur, aber auch – von seinen Insider-Gags.

Da ist zum Beispiel Neserkes „Predigtlied für Ernst Lange“ – Lange war eine wichtige Gestalt der Homiletik, der Predigtlehre. Der Song schildert die Mühen eines Pfarrers, eine gute Predigt zu schreiben: „Gegen Mitternacht hab ich immerhin den Rahmen. / Oben steht ‚Liebe Gemeinde‘ und unten steht ‚Amen‘ / … Und ich grüble Ernst und Lange – doch es hilft nichts.“ Neserkes Witz ist fein; richtig Böses, Derbes, Zynisches gar rutscht ihm kaum durch – und das ist manchmal zu bedauern. Er betont, auch auf der Bühne wolle er nichts sagen, was er nicht auch als Theologe verantworten könne: „Ich stehe in und für meine Landeskirche.“

Texte in Reinform

Dabei sind Neserkes Lebensumstände absurd genug – Berlin kann ihn da nicht mehr schocken: Sein Dorfbürgermeister ist in der DKP, die bei der Kommunalwahl zuletzt 40 Prozent der Stimmen bekam – das prägt. Hier überholt die Wirklichkeit die Schau. Ähnliches gilt für manche evangelische Texte, die in Reinform einfach am besten knallen. So zitiert Neserke auf der Bühne gern auch diese Zeilen des protestantischen Dichters Paul Gerhardt: „Die Wiesen liegen hart dabei / und klingen ganz vom Lustgeschrei / der Schaf’ und ihrer Hirten.“ PHILIPP GESSLER

■ Nächster Auftritt: Samstag, 20 Uhr, in der Ölbergkirche, Lausitzer Str. 28, 10999 Berlin-Kreuzberg