: Wohnungslose heute
Die öffentliche Ordnung: Nicht erst, wenn die öffentliche Sicherheit, sondern schon wenn die öffentliche Ordnung gefährdet ist, darf die Polizei in Niedersachsen seit Dezember 2003 eingreifen. „Sie ändern das Polizeigesetz, um sich den Anblick von Obdachlosen und Bettlern zu ersparen“, empörte sich Niedersachsens Ex-Innenminister Heiner Bartling (SPD) im Landtag über das Vorhaben seines Amtsnachfolgers Uwe Schünemann (CDU). Den Ordnungsbegriff hatte man 1994 aus dem Aufgabenkatalog der Polizei gestrichen, die Novellierung des niedersächsischen Polizeigesetzes von 2003 führte ihn wieder ein.
Mit einem Vorstoß für kommunale „Trinkersatzungen“, mit der man auch gegen „aggressives Betteln“ vorgehen wollte, hatte die CDU im schleswig-holsteinischen Landtag im Februar 2002 eine heftige Kontroverse ausgelöst, scheiterte aber damit. „Die Bürger des Landes fühlen sich zunehmend durch Gewalttäter, aber auch durch Menschen im öffentlichen Raum bedroht“, sagte der damalige CDU-Landeschef Johann Wadephul. Eine kommunale „Trinkersatzung“ in Elmshorn im Kreis Pinneberg hatten die Verwaltungsgerichte zuvor für nichtig erklärt.
Von einer ganz anderen Art der Bedrohung redet hingegen die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Nach ihren Angaben werden regelmäßig Wohnungslose auf der Straße Opfer von Gewalt: Allein in den 90er-Jahren seien mindestens 107 Wohnungslose von zumeist jugendlichen Tätern getötet worden. Der Passus „aggressives Betteln“ sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, der oft zum Schaden der Obdachlosen ausgelegt werde, klagt Werena Rosenke, stellvertretende Geschäftsführerin der Wohnungslosenhilfe.
Arbeitsdienst und Hartz-Politik: Mit den so genannten „Ein-Euro-Jobs“ werde „der NS-Reichsarbeitsdienst in einem neuen Gewand eingeführt“, meinte Thüringens DGB-Chef Frank Spieth im Sommer 2004 in Bezug auf das Hartz-Gesetz.
Der spanische Aktionskünstler Santiago Sierra wollte Anfang diesen Jahres von Ein-Euro-Jobbern Schlamm aus dem Maschsee in die Ausstellungsräume der Hannoveraner Kestnergesellschaft schaufeln lassen. Vor 69 Jahren wurde der Maschsee von so genannten „Notstandsarbeitern“ völlig ohne Maschinen ausgehoben. Ein Vorzeigeprojekt der Nationalsozialisten im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. Verwirklicht wurde Sierras Idee aber mit Schlamm aus der Bad Neundorfer Kurklinik und per Kurierfahrer.
Werena Rosenke warnt davor, das Vorgehen der Nazis mit der Hartz-Politik in Verbindung zu bringen. „Das sind zwei ganz verschiedene Dimensionen. Man kann aus der Geschichte aber lernen, wie leicht es fällt, Obdachlose zu stigmatisieren“. Oft würden Obdachlose als Grund für Absatzeinbußen in Einkaufspassagen vorgeschoben und Verfahren angestrengt, sie von dort zu vertreiben.
Wohnungslose und der Nationalsozialismus: Dieses bisher kaum erforschte Thema hat der Historiker Wolfgang Ayaß in seiner Habilitationsschrift „ ‚Asoziale‘ im Nationalsozialismus“ grundlegend bearbeitet. Die Arbeit ist 1995 im Klett-Cotta Verlag erschienen und kostet 25 Euro. Der Privatdozent der Uni Kassel war selbst als Sozialarbeiter tätig und hat mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe auch die Wanderausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“ entworfen. Auf sein Buch stützt sich der nebenstehende Artikel.
Wie Obdachlose heute zu diesem Thema und der Ausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“ stehen, lässt sich nach Einschätzung von Rainer Adomat, Leiter der Wohnungsloseneinrichtung „Schäferhof“, nur schwer sagen. Einige äußerten manchmal selbst rechtsradikales Gedankengut oder seien politisch nicht orientiert.