: Belohnung fürs Nochmalsehen
RETROSPEKTIVE Die Filme des koreanischen Regisseurs Hong Sang Soo irritieren den Zuschauer und setzen dabei auf den Reiz des Impliziten. Im Arsenal ist jetzt sein Gesamtwerk zu sehen
VON EKKEHARD KNÖRER
Seit Jahren zeigen die großen Festivals der Welt die Filme des koreanischen Regisseurs Hong Sang Soo in den Wettbewerben. Einmal hat sogar die Berlinale einen gezeigt. Nun gibt es die zweite komplette Retrospektive in diesem Jahr, die erste in München, jetzt in Berlin: Man könnte glauben, Hong sei auch in Deutschland angekommen.
Doch das täuscht. Wem außer den Eingeweihten wäre auch nur sein Name ein Begriff, ganz zu schweigen von den dreizehn Langfilmen, die er in den letzten sechzehn Jahren gedreht hat? Kein einziger Hong-Film war regulär in deutschen Kinos zu sehen, es gibt keine deutsche DVD-Edition auch nur eines einzigen Films. In Frankreich, aber auch in den USA ist das anders. Unlängst zierte zum Beispiel Hongs stilisiertes Konterfei mit flammenden Haaren das Cover der Cahiers du Cinéma.
Diese Diskrepanz hat ihre Gründe. Was in Deutschland Erfolg hat, hat Hong nicht zu bieten: keine Extravaganz in den Bildern, keine dick aufgetragenen Gefühle, keine feierlich überreichten Botschaften, überhaupt: nichts, das irgendwie warme Gefühle oder Gedanken hervorruft. Rein inhaltlich tut sich außer großen Sprüchen, verletzenden Sätzen, Verblendung, Betrinken, Liebe und Liebesbetrug in seinen Filmen meist wenig.
Stattdessen: Form, Raffinesse, Intelligenz, List und Tücke. Die Form stellt sich freilich nicht aus, macht sich geltend vielmehr in kleinen Irritationen. Wer nicht genau aufpasst, wird etwa fragen: Habe ich diese Szene nicht gerade eben schon einmal gesehen? Aber war sie nicht irgendwie anders? Und das, ist das jetzt eine Rückblende – oder jemandes Fantasie? Ein anderer Mann, aber dieselbe Frau in ganz vergleichbarer Situation? Eine andere Frau, aber derselbe Mann? Ein Film im Film? Im Film? Hat der Protagonist nicht gerade noch das Gegenteil von dem versprochen, was er nun tut? Dass sich nun dieser und jene auch noch begegnen: Ist das nicht ein bisschen viel Zufall? Ist dieser Fisch jener Fisch? Und woher kommt das Schwein jetzt hinter dem Fenster?
Wiederkehrende Motive prägen Hongs Werk: die Männer fast alle irgendwie Künstler (Regisseure nicht selten), meist blockiert, mäßig erfolgreich, wehleidig, selbstgerecht, passiv-aggressiv. Die Frauen fallen auf sie rein, werden betrogen, lassen sich eine Weile zu viel bieten, dann haben sie aber genug. Sex, Verführung, Liebe – aber Romanze wäre das ganz falsche Wort. Dialoge gibt es reichlich, aber die Sprache ist verdorrt oder wird in Alkohol getaucht, bis sie ersäuft. Eine Liebe zum Detail, in der nicht die groben Züge interessieren, sondern Miniaturen. Resonanzen einzelner Wörter, Sätze und Szenen, Wiederholungen mit Variation, jeder Film eine Experimentalanordnung, die ihre Regeln jedoch nicht ausspricht. Der Reiz liegt im Impliziten, in der Mustererkennung.
Hongs Filme sind nicht abstrakt, ihr Beschreibungsrealismus des koreanischen Alltags ist geradezu handgreiflich (die Cafés, die Gesten, die Straßen, die Rituale des Einanderbegegnens, des Sichbetrinkens, Seoul und die Kleinstädte, die Künstlermilieus, Fahrten aufs Land, Aufenthalte am Meer), dennoch funktionieren sie in ihren Grundstrukturen eher wie ein komponiertes Musikstück. Mit vielen Dacapos und Krebsen und Transpositionen einzelner Motive, Tonartwechseln, Fermaten, Ellipsen, Stimmungsumschwüngen von Moment zu Moment. Die Musik auf dem Soundtrack ist ebenfalls wichtig, aber ganz anders: eingängig, schlicht, Minimal Music, manchmal Klassik, aber stets catchy. Sie untermalt nicht, sondern intermittiert, kommentiert, zäsuriert, ist eine der wichtigsten Auftrittsformen der mal feinen, mal bösen Ironien, die Hongs Werk durchziehen, ohne dass ihr Autor oder ihr Sitz oder ihre Stoßrichtung immer genau auszumachen wären.
Für das Schönheit suchende Auge sieht das selten nach viel aus. Vor allem, seit Hong aus Kostengründen auf eher billige Digitalkameras umstiegen ist. Die Bilder sind präzise, suchen aber nie den Effekt. Über einzelne Filme habe ich gar nichts gesagt. Sie gleichen einander, aber sie gleichen einander so wenig, wie ein Bild von Giorgio Morandi dem anderen gleicht. Das ist ein paradoxer Effekt: Sie belohnen das Nochmalsehen ungeheuer, man sieht nicht zweimal denselben Hong-Film. Große Lust der kleinen Differenz. Tolle Titel übrigens oft, rätselhaft, verspielt, schön: „The Pig That Fell Into The Well“, „Like you Know It All“, „Hahaha“ – oder ganz einfach „Tale of Cinema“. Im neuesten, „In Another Country“, spielt erstmals ein internationaler Star die Hauptrolle(n): Isabelle Huppert. Einen großen Unterschied macht das nicht. Alle Hong-Filme lohnen das Sehen.
■ Tales of Cinema – Retrospektive Hong Sang Soo: ab 2. 11. im Arsenal, Programm unter www.arsenal-berlin.de