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Verbeugung vor New Hollywood: Das American Film Festival im nordfranzösischen Deauville hat dem Drehbuchautor, Regisseur und Scriptdoktor Robert Towne eine Hommage gewidmet

VON SVEN VON REDEN

„Bruckheimer meinte zu mir: ‚Die Szene gefällt mir gut, aber ich will mehr.‘ Ich fragte: ‚Mehr wovon?‘ – ‚Einfach mehr.‘“ Der alte Mann auf dem Podium mit dem grauen Vollbart und dem Zigarrenstumpen im Mund lächelt. Das Publikum freut sich: Es hat gerade sein Bild von Hollywood bestätigt bekommen.

Auf dem Podium sitzt Robert Towne, dem das diesjährige 31. American Film Festival von Deauville eine Hommage gewidmet hat. Towne ist Drehbuchautor der New-Hollywood-Klassiker „Chinatown“, „The Last Detail“ und „Shampoo“, Regisseur von Filmen wie „Personal Best“ und „Tequila Sunrise“ – und seit Jahrzehnten einer der bestbezahlten Drehbuchdoktoren in Hollywood. Er dürfte einer der wenigen Autoren sein, die für ihre Arbeit, die in Filmvorspännen genannt wurden, ebenso bekannt wurden wie für ihre ungenannten Beiträge: Bei „Bonnie and Clyde“ nahm Towne auf Bitten seines Freundes Warren Beatty entscheidende Umstellungen im Drehbuch vor, für „Der Pate“ schrieb er die Schlüsselszene, in der Brando wortlos die Macht an Al Pacino weitergibt – ein paar tausend Dollar waren der Lohn und ein Dank von Coppola bei der Oscarverleihung.

Heute arbeitet Towne unter anderem für den Erfolgsproduzenten Jerry Bruckheimer („Armaggedon“, „Pearl Harbor“). Als eine der prägenden Figuren des New Hollywood steht Towne für eine Zeit, in der Autorenkino im Herzen Hollywoods, innerhalb des Studiosystems entstand. Wie diese Zeit endete, zeigte in Deauville der Dokumentarfilm „The Final Cut“, der die Geschichte von Michael Ciminos großem Westernepos „Heaven’s Gate“ erzählt. Dessen Produktion lief durch die Megalomanie des Regisseurs finanziell völlig aus dem Ruder; sie war verantwortlich dafür, dass ein ganzes Studio in den Bankrott ging. Danach wurde es für Regisseure schwieriger, ihren kostspieligen Visionen freien Lauf zu lassen.

Die Filme, die im Wettbewerb von Deauville gezeigt werden, haben bescheidenere Dimensionen: Es sind Debüt- oder Zweitwerke junger Regisseure, die oft jenseits des Studiosystems arbeiten, kleine Dramen, in denen Menschen erwachsen werden, Familien sich zusammenraufen oder durch das Leben Treibende eine Identität finden. Manchmal werden gleich alle diese Themen zugleich verhandelt wie in „Transamerica“. In Duncan Tuckers Langfilmdebüt erfährt ein transsexueller Mann kurz vor seiner Geschlechtsumwandlung, dass er einen Sohn hat, der in New York im Knast sitzt. Widerwillig fliegt er von Kalifornien an die Ostküste, um das ihm fremde Kind auszulösen. Der Sohn hält die unbekannte ältere Dame für die Abgesandte einer Kirche, die verlorene Seelen auf den Pfad der Tugend zurückbringen will. Dem Vater ist dieses Missverständnis ganz recht. Wie so oft, wenn im amerikanischen Film Menschen etwas über sich herausfinden sollen, steigen beide in ein Auto und machen sich auf eine Reise quer durch das Land.

Es ist nichts falsch an „Transamerica“: Die Protagonisten sind komplex genug gezeichnet, dass man ihnen 90 Minuten gerne zuschaut; Humor und Tragik werden fein ausbalanciert; und Felicity Huffman in der Hauptrolle der transsexuellen Bree dürfte alle erstaunen, die sie nur als Lynette Scavo aus „Desperate Housewives“ kennen.

Doch Festivals entwickeln ihre eigene Dynamik, und so sucht man nach mehreren Filmen mit „menschlichem Maß“ sehnsüchtig nach den großen Mythenmaschinen, nach epischen Dimensionen wie in „Heaven’s Gate“ – oder nach einem Film wie „Chinatown“. Im riesigen Kino des Festivalzentrums, das wie eine Bunkeranlage tief in den Sand der Normandieküste eingegraben ist, verliefen sich zur nächtlichen Vorführung von „Chinatown“ zu Ehren Townes nur wenige Zuschauer. Aber die Vorführung der kaum gealterten Kopie führte beeindruckend vor Augen, dass nur das Kino kann, was das Kino kann: den Betrachter an andere Orte und Zeiten transportieren und in einen Zustand zwischen Wachheit und Traum versetzen. Die Musik von Jerry Goldsmith mit ihrem einfachen, immer wiederkehrenden Motiv entfaltet erst im Kino ihre gespenstische Melancholie; die kleinen Ticks in Jack Nicholsons Spiel werden auf der großen Leinwand betont und lassen sein Spiel noch erratischer wirken; die vielen Pfade von Townes Drehbuch finden zwar am Ende alle zusammen, sind aber so verschlungen, dass sie eher einer Traumlogik zu folgen scheinen.

Towne und Nicholson waren enge Freunde, sie lernten sich in den Sechzigern kennen, als beide die Schauspielklasse von Jeff Corey besuchten. Von Nicholsons Improvisationen hat Towne viel gelernt – von seinen unerwarteten Reaktionen, seinen kreisenden Annäherungen an den Kern einer Rolle. Auf dem Podium hält er Nostalgie gegenüber den glorreichen Zeiten des New Hollywood dennoch in Grenzen. Ein französischer Journalist versucht ihm ein kritisches Statement zum aktuellen Zustand Hollywoods zu entlocken, doch der 68-Jährige lässt sich nicht darauf ein. „Ja, es war schon etwas seltsam, als John Woo mir für ‚Mission Impossible 2‘ eine Reihe von Actionszenen beschrieb, um die herum ich mein Drehbuch schreiben sollte. Aber das war auch eine tolle Herausforderung, so was hatte ich noch nie gemacht. Und Woo ist wirklich sehr nett.“ Im Publikum wird ungläubig gelächelt.

Was selbst die Mitarbeiter dieses Amerika eigentlich so wohl gesinnten Festivals vom gegenwärtigen kulturellen Klima in den USA halten, konnte man zu Beginn des Podiumsgesprächs feststellen. Als Towne fragte, ob er rauchen dürfe, erwiderte ihm die charmante französische Moderatorin: „Sicher, wir leben hier in einem zivilisierten Land.“