Svenja BednarczykAusgehen und rumstehen: Man will das, was man nicht mehr haben kann
Es ist Freitagabend in einer Bar in Friedrichshain: Männerstimmen versuchen den Metalcore zu übertönen, tätowierte Arme gestikulieren. Freundin J. und ich sitzen dazwischen und reden über Romantik. Zwischen mehreren Liebeleien und Ex-Affären hin- und hergerissen schließt sie: Man will immer das, was man nicht mehr haben kann.
Unsere Handys unterbrechen das Gespräch. Ihr schreiben die Männer, mir die Freunde. Drei weitere Aktivitäten habe ich für den späteren Abend lose zugesagt: Kostümparty, Karaokebar oder Kneipenabend in größerer Runde. Jetzt kommen ungeduldige Nachfragen, wann ich denn komme. Aus der Karaokebar schreiben mir die Freunde: „Wir singen gleich Dorn you wanz ne Baby“ [sic]. Freundin J. dagegen möchte mit mir auf eine Technoparty auf dem RAW-Gelände gehen. Aber ich will das alles nicht.
Als ich nach Berlin gezogen bin, fragte ich mich, wie man sich hier bei dieser riesigen Auswahl an Ausgeh-Angeboten nur entscheiden soll. Immer würde ich das Gefühl haben, etwas zu verpassen, dachte ich damals. Fünf Jahre und viele mittelmäßige Abende später weiß ich, dass die Auswahl an Ausgehmöglichkeiten so viel besser gar nicht immer ist. Und so entscheide ich mich an diesem Abend gegen alles, was ich haben kann. Ich fahre nach Hause.
Es ist Sonntagnachmittag im Technikmuseum in Kreuzberg: Männerstimmen versuchen die Computerspielmusik zu übertönen, Kinderdaumen hämmern auf vergilbte Controller. Freund P. und ich gehen über das Vintage Computer Festival und reden über technischen Fortschritt. Als großer Fan von Elektronik vergangener Zeiten sagt er: „Es ist toll, dass die Technik damals so einfach war, dass ein einzelner Mensch sie überblicken kann. Damals konnte man noch viel allein erreichen.“ Heute sei alles so kompliziert, große technische Ideen könne man grundsätzlich nur noch arbeitsteilig umsetzen.
Wir laufen durch die Hallen zwischen alten Mac-Modellen, selbst gebauten DDR-Rechnern und gut erhaltenen Atari-Konsolen. Ich lese auf einem Aushang über den ausgestellten Commodore C64, dass der Restaurator beim Aufschrauben unter der Tastatur so viele Larven und Käfer gefunden hat, dass er, so steht es geschrieben, „fast kotzen musste“. Eine nette Geschichte, auch weil der englische Begriff für Käfer, „Bug“, als Synonym für Programmfehler verwendet wird.
In der Nebenhalle stehen mehrere Telefone mit Drehscheibe, die man untereinander anwählen kann. Ein Mann erklärt seiner geschätzt 14-jährigen Tochter, dass so früher Telefone aussahen. P. ist über 30 Jahre alt und versucht, das Telefon neben mir anzurufen. Dreimal wählt er mühsam die Nummer auf der Drehscheibe, dreimal passiert nichts. „Wohl kaputt“, zuckt P. mit den Achseln. „Du musst den Hörer von der Gabel nehmen, damit es funktioniert“, sage ich und finde vor allem faszinierend, wie einfach man – in Bezug auf technischen Fortschritt – vor ein paar Jahren noch selbstverständliche Handgriffe einfach wieder vergisst.
P. beschäftigt sich in seiner Freizeit vor allem mit vergangener digitaler Technik. Alte Programmiersprachen, Betriebssysteme, Netzwerkprotokolle. Die kann man also nicht mal anfassen. „Was fasziniert dich daran?“, frage ich. P. überlegt lange. „Es ist eine Art von Eskapismus“, vermutet er. Man will halt das, was man nicht mehr haben kann.
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