: „Das Tafelsilber hat Flecken“
SCHUTZGEBIETE Der Osten hat bei der Wiedervereinigung seine Naturlandschaften eingebracht. Doch das wertvolle Erbstück leidet, warnt Naturschützer Ernst Paul Dörfler
Jahrgang 1950, lebt bei Dessau, Naturwissenschaftler und viele Jahre im Gewässerschutz der DDR tätig. Mitbegründer der Grünen in den neuen Bundesländern, heute Buchautor und aktiv im BUND. Foto: privat
INTERVIEW EDITH KRESTA
taz: Herr Dörfler, glänzt das Tafelsilber der neuen Bundesländer, wie es der Ex-Umweltminister Klaus Töpfer nannte?
Ernst Paul Dörfler: Das wertvolle Erbstück hat schwarze Flecken bekommen. Das Tafelsilber, das sind geschützte Nationalparke wie beispielsweise der Harz, die Vorpommersche Boddenlandschaft oder das Odertal. Das sind die Biosphärenreservate wie Schorfheide Chorin oder mein Aktionsraum, die Flusslandschaft Elbe. Und es sind zahlreiche Naturparke. Doch dieses Naturkapital im dünner besiedelten Osten hat sich anders entwickelt, als wir hofften. Das sagen alle Experten in den fünf neuen Bundesländern. Für Naturschutz ist fast kein Geld da!
Sind nicht wenigstens diese geschützten Naturräume blühende Landschaften geworden?
Wir hatten uns vor 20 Jahren vorgestellt, dass tatsächlich in den Schutzgebieten außerhalb der Kernzonen ökologisch gewirtschaftet wird. Dass in diesen Gebieten auf den Einsatz von Agrochemikalien verzichtet wird. Da hat sich wenig getan. Ein positives Beispiel ist die Schorfheide. Das ist der Leuchtturm der ökologischen Landwirtschaft. Ansonsten stellen wir den Trend fest, dass die Bewirtschaftung in vielen Großschutzgebieten intensiviert wurde – sehr zum Nachteil für die Arten- und Biotopvielfalt.
Fehlt der politische Wille?
Ja, bei den Landesregierungen – Naturschutz ist Ländersache – ist wenig zu erkennen, am ehesten in Brandenburg, aber auch dort ist er geschrumpft.
Was ist das Hauptproblem?
Das fehlende Personal. So ein Schutzgebiet erhält sich ja nicht von selbst. Man braucht Leute, die Öffentlichkeitsarbeit machen, die die Menschen vor Ort mit einbeziehen, schulen. Doch von dem Personal, das die Großschutzgebiete Anfang der Neunzigerjahre hatten, ist die Hälfte weggestrichen worden. Hier wird an völlig verkehrter Stelle gespart. Ich kenne keine andere Behörde, der in den letzten Jahren fünfzig Prozent ihrer Mitarbeiter abgebaut wurden.
Merkwürdig bei der hohen Arbeitslosigkeit im Osten …
Das finde ich eben auch merkwürdig. Das wäre eine sehr lohnende Investition, dort Menschen zu beschäftigen, um die Schutzgebiete in die gewünschte Richtung zu entwickeln. Aber es fehlen die Einsicht und Bereitschaft der Landespolitiker.
Was wäre denn eine wünschenswerte Entwicklung?
Es ist wünschenswert, die Pufferzonen der geschützten Gebiete ökologisch angepasst zu nutzen. Dazu müsste der bedeutendste Flächennutzer, die Landwirtschaft, von umweltbelastender, intensiver Landwirtschaft auf ökologische Landwirtschaft umgestellt werden – was auch wieder doppelt so viele Arbeitsplätze schaffen würde. Die ökologische Landwirtschaft würde die Arbeitslosigkeit in den strukturschwachen Gebieten senken. Das muss aber politisch gewollt sein. Es bedarf Beratung für die Bauern, Umweltbildung. In Sachsen-Anhalt beispielsweise gab es 12 Naturschutzstationen nach der Wende, davon ist keine mehr übrig geblieben.
Ökologische Produkte liegen im Trend und inzwischen auch in den Supermärkten. Wird hier was verschlafen?
Ja. Man hat es zwanzig Jahre nach der Wende geschafft, die Nachfrage nach gesunden Nahrungsmitteln, die ökologisch erzeugt wurden, enorm zu steigern. Doch in Schutzgebieten, die dafür geschaffen wurden, ist die Umstellung auf die ökologische Produktionsweise nur sehr schleppend vorangegangen.
Die Schutzgebiete werden vernachlässigt?
Genau. Die Substanz ist noch da. Elbe und Oder sind beispielsweise die letzten naturnahen Flusslandschaften, die wir in Deutschland haben. Die DDR hat die Flüsse nicht verbaut, weil sie es nicht geschafft hat und weil sie den Verkehr auf die Schiene verlagert hat. Und jetzt kommen die westdeutschen Strukturen und die bundesdeutschen Gesetze. Dadurch werden die Flüsse Oder, Elbe, Saale, Havel und Spree nach westlichem Vorbild modernisiert, um sie für den Verkehr herzurichten. Dabei ist der Bedarf bei Weitem nicht vorhanden, und den Flüssen fehlt zeitweise jetzt schon das Wasser für die Frachtflussfahrt. Aber für diese naturzerstörenden Vorhaben sind immense Summen da.
Wenn für die Pflege des „Tafelsilbers“ der hauptamtliche Naturschutz wegen drastischer Stellenkürzungen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurde, kümmern sich wenigstens ehrenamtliche Naturschützer darum?
Würden wir – ich zähle mich dazu– liebend gern. Seit 20 Jahren führe ich persönlich im BUND den Kampf gegen den absurden und teuren Ausbau von Elbe und Saale zu „modernen“ Wasserstraßen. Statt für die Schutzgebiete zu werben und zu informieren und Umweltbildung voranzutreiben, also konstruktiv mit der Bevölkerung und mit den Touristen zu arbeiten, wird unsere Kraft in Stellungskriegen gegen die Baulobby und deren politische Helfer aufgefressen. Auch die jüngste Bundesregierung hat sich nicht von den Flussausbauprojekten verabschiedet.
Ist denn wenigstens der Tourismus in den Gebieten nachhaltiger geworden?
Das ist sehr unterschiedlich. Der Tourismus an der Elbe hat zweistellige Wachstumsraten der Touristenzahlen in zwei Jahren. Das kann die Elbe verkraften. Die Radfahrer und Kanuten sind für diese Region goldwert, weil mehrere tausend Arbeitsplätze daran hängen. Ein anderes Beispiel ist der Darß. Dort dürfen Motorboote immer noch in die Kernzonen des Nationalparks. Das ist ein Störfaktor. Dort, wo der Tourismus angepasst ist, ist er ein Segen. Dort, wo er ein knallhartes Geschäft ist, werden die Schutzgebiete unterminiert.