: Schriftsteller als Wahl-Demokraten
betr.: „Studie in schlechter Laune“ (Die Schriftsteller und ihr Engagement im Wahlkampf), taz vom 15. 9. 05
Für mich zeigt die ganze Aufgeregtheit um den Grass-Aufruf vor allem eins: Die deutschen Schriftsteller haben sich mehrheitlich eingerichtet in der Rolle des Wahl-Demokraten. Alle vier Jahre ein Kreuzlein, hier und da ein wenig hektische Diskussion in Vorfeld und – natürlich – die Bekräftigung eigener Auffassungen durch konsequentes Niedermachen der Gegenseite.
Meine Güte! Das soll unsere literarische Elite sein? Ich kann das einfach nicht glauben! Nicht, dass ich mir die Zeiten zurückwünschte, als der Schriftsteller sich noch „in der Produktion bewähren“ musste, aber ich hätte es schon ganz gern, wenn auch die Damen und Herren Wortkünstler ab und an mitdächten oder gar mittäten – und zwar nicht nur alle vier Jahre für vier Wochen, sondern auch in der Zwischenzeit. Schließlich sind sie keine Parias, sondern Bürger eines Gemeinwesens.
Zugegeben: neben der Schriftstellerei bleibt, will man sie ernsthaft betreiben, wenig Zeit für Politik. Soll auch nicht. Wer spricht von Fraktionsarbeit? Falls (historisch gesehen) überhaupt irgendwelche DDR-Bücher überleben, dann werden es ganz bestimmt die sein, in denen grundlegende Politikprobleme anhand von vordergründig unpolitischen Alltagsgeschichten abgehandelt wurden. Und zwar so, dass die Leute trotzdem merken: Was „die da oben“ tun und lassen, ist nicht egal. Es hat – so oder so – Einfluss auf mein ganz privat-persönliches Leben. Und auf das von Menschen, die mir wichtig sind, auch. Wenn ich also passiv bleibe, hat das früher oder später Konsequenzen, die ich niemandem zuschreiben kann außer mir selbst.
ANKE ZÖCKEL, Weimar