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Archiv-Artikel

Ungeliebt im Bruderland

RASSISMUS Vertragsarbeiter als Teil der Fremdherrschaft: Eine Diskussionsrunde mit Gregor Gysi und Wolfgang Wippermann versuchte am Mittwoch, zu klären, wie der Rassismus im antifaschistischen Musterland DDR gedieh

Die kommunistischen Widerstandskämpfer erklärten bei der Gründung der DDR ein Volk zu Antifaschisten, das de facto zu 90 Prozent aus Mitläufern bestand, meint Gregor Gysi

VON SUSANNE MESSMER

Als Nguyen Ngoc Quan im Alter von 18 Jahren nach Deutschland kam, lernte er viel Neues kennen. Abgepackte Butter zum Beispiel, die er sich, weil er dachte, es sei ein Bonbon, in die Tasche steckte, wo sie schmolz. Oder Wasser, das im deutschen Winter selbst im Eisenbahnwaggon zu Eis gefror. Als der vietnamesische Vertragsarbeiter im Winter 1976 in Saalfeld an der Saale in der DDR begann, Facharbeiter für Straßenbau zu lernen, ahnte er noch nicht, wie sehr er eines Tages mit dieser seltsamen zweiten Heimat verbunden sein würde.

Trotz widriger Bedingungen lebte sich Nguyen Ngoc Quan ein. Und als er 1979 die Chance bekam, in Magdeburg zu studieren, da verliebte er sich in eine deutsche Frau. Als sie schwanger wurde, wurde Nguyen Ngoc Quan sofort nach Vietnam zurückgeschickt. Es war nicht erwünscht, dass die 90.000 Vertragsarbeiter in der DDR heimisch wurden. Sie lebten in streng kontrollierten Wohnheimen über die DDR verstreut und voneinander isoliert. Liebe und Kinder waren per Vertrag verboten, Familiennachzug war unmöglich. Frauen drohte bei Schwangerschaft die Rückkehr. Und natürlich war es auch nicht gern gesehen, wenn sich Vietnamesen mit Deutschen anfreundeten.

Nguyen Ngoc Quans plastisch erzählte Geschichte ist nur eine von vielen, die in der Ausstellung „Bruderland ist abgebrannt“ nachzulesen ist – eine Ausstellung über Vertragsarbeiter in der DDR, die seit 2008 durch die neuen Bundesländer wandert und bis gestern im Zentrum für Demokratie in Schöneweide zu sehen war. Bei ihrer Eröffnung Anfang September wurde das Projekt von einer Gruppe von Rentnern attackiert, die sich als Mitarbeiter des ZK der SED vorstellten, des FDGB und der Staatsanwaltschaft. Auch die ehemalige Parteisekretärin des Kombinats Fortschritt war dabei, einst einer der größten Arbeitgeber von Vertragsarbeitern in Berlin. Die ehemaligen Funktionäre protestierten lautstark dagegen, dass ihr sozialistisches, antifaschistisches Musterland DDR mit Rassismus in Verbindung gebracht werde. Eine Veranstaltungsreihe zur Ausstellung sollte unter anderem die Geschichte und gesellschaftlichen Kontext der Entstehung von Neonazismus in der DDR erhellen.

Am Mittwochabend fand zum Abschluss ein Podiumsgespräch mit Gregor Gysi und den Historikern Wolfgang Wippermann, Professor für Neuere Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut, und Carl-Friedrich Hock, Volontär bei der Zeitschrift Vorwärts, statt. Die Diskutanten holten weit aus und förderten derart Erstaunliches zutage, dass sie im ebenso betagten wie brummigen Publikum auf wenig Widerstand stießen. Es ging unter anderem um die Frage, ob der Antifaschismus in der DDR nur verordnet gewesen sei.

Wie konnte es zu den Pogromen in Rostock und Hoyerswerda gegen vietnamesische Vertragsarbeiter kommen? Warum ist Rassismus in den neuen Bundesländern bis heute ein drängendes Problem?

Es ist zu kurz gedacht, die Fremdenfeindlichkeit im Osten als Folge der Isoliertheit der Vertragsarbeiter zu sehen. Auch der „Töpfchenstreit“, der Ende der Neunziger aufkam und vor allem die autoritären Erziehungsmuster in der DDR-Kinderbetreuung für rassistische Mentalitäten verantwortlich machte, genügt kaum als Erklärung. Eine der Hauptthesen, die auf dem Podium diskutiert wurden, lautet vielmehr: Von Anfang an gab es eine tiefe Kluft zwischen Machthabern und Bevölkerung der DDR. Die Vertragsarbeiter wurden als Gesandte der Partei, also einer Art „Fremdherrschaft“ betrachtet, und schon deshalb wollte man mit ihnen nichts zu tun haben. Als die Mauer fiel und ein Teil der Vertragsarbeiter aus den einstigen „sozialistischen Bruderländern“ um sein Bleiberecht kämpfte, wurden sie unter die „Asylanten“ subsumiert und erneut als protegiert empfunden – diesmal als Günstlinge der neuen Fremdherrschaft der BRD.

All das hat tiefe historische Wurzeln. Die SED wurde von einem Großteil der Bevölkerung anfangs als „Russenpartei“ betrachtet. Viele der Parteimitglieder waren Kämpfer im antifaschistischen Widerstand gewesen, zugleich hatten sie den Anspruch, die Mehrheit ihres Volkes zu repräsentieren, wie Gregor Gysi plastisch schildert. Also erklärten sie qua Ideologie ein Volk zu Antifaschisten, das de facto zu 90 Prozent aus Mitläufern bestand. Auch wenn in der DDR mehr Nazis und Kriegsverbrecher verurteilt wurden als in der Bundesrepublik: Eine Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, mit der historischen Verantwortung auch der DDR fand nicht statt. Wolfgang Wippermann meint daher, der in der DDR gepflegte Antifaschismus sei nicht radikal genug gewesen.

Der Aufenthalt von Vertragsarbeitern in der DDR war streng reguliert, sie brauchten Einladungen und Visa; Besucher mussten sich in den Wohnheimen ausweisen. Die DDR war aber bekanntlich weit mehr als ein totalitäres Regime. Es gab viele Grau- und Wohlfühlzonen, in denen es sich nicht allzu schlecht leben ließ. In diese privaten Nischen fanden die Vertragsarbeiter aber kaum hinein. Umso trauriger, dass Nguyen Ngoc Quan, der allen Widrigkeiten zum Trotz solch einen Ort fand und sich verliebte, ausgewiesen wurde. Als ihm vier Jahre später die Rückkehr in die DDR gelang, hatte seine Freundin einen anderen geheiratet. Nguyen Ngoc Quan blieb trotzdem, bis heute.