: Der Geist des Llano Estacado
In Lubbock, Texas, ist der private Isolationismus der US-Amerikaner auf die Spitze getrieben. So treibt er seltsame Blüten
I thought happiness was Lubbock Texas in my rear view mirror
My Mama kept calling me home but I just did not want to hear her
And the vision was gettin’ clearer in my dreams
Das Glück beginnt da, wo Lubbock, Texas, aufhört. Ein recht überzeugender Satz für jeden, der sich einmal der ganzen Einöde der South Plains hingegeben hat. Hunderte von endlosen Meilen in denen man nur aufgeplatzte Reifen am Wegesrand liegen sieht, wo jedes bisschen Tumble Weed, das über die Straße tummelt, begeistert als großartige Abwechslung gefeiert werden sollte und man den Gürteltieren im Vorbeifahren beim Verwesen zusehen kann.
Von Norden kommend fährt man auf der Interstate 27 bei Amarillo am größten Kreuz der Welt vorbei. Ein gigantischer Pfahl mit riesigem Querbalken, an dem man die gesamte Christenheit kreuzigen könnte. Ein Monument, das wirklich beeindruckend wäre, hätte man nicht bereits in Oklahama das größte Kreuz der Welt bewundert und hätte deswegen nicht Grund zu der Annahme, dass auch andere Staaten größte Kreuze der Welt beherbergen.
Meredith McClain, einst Direktorin der Germanistik an der Texas Tech University, versteht den ersten Schock, den die Ereignislosigkeit Lubbocks beim Besucher verursacht. Ihr ging es zunächst ähnlich. Sie brauchte ein bisschen Zeit, bis sie entdeckte, dass die Einöde ziemlich viel Platz für Fantasie bietet: „Lubbock ist großartig“, erklärt sie heute stolz, „man hat hier viele Freiheiten und kann seinen eigenen Interessen nachgehen.“ In McClains Fall ist das Karl May. Im Gefängnis erdichtete sich May Winnetous Abenteuer in den South Plains. Dass es die Berge, von denen Winnetou und Old Shatterhand in den Sonnenuntergang reiten, hier in der Gegend gar nicht gibt, konnte der Radebeuler nicht wissen, schließlich kam er erst spät in seinem Leben in die Staaten und hatte zu der Zeit seine größten Geschichten bereits geschrieben. Der westlichste Punkt, den der Autor von den USA gesehen hat, war Upstate New York. Aber ähnlich wie Meredith McClain hat sich Karl May durch Fakten nicht beirren lassen.
Karl May hat genau das getan, was große Autoren tun“, wird Reinhold Wolff von der deutschen Karl-May-Gesellschaft im Wall Street Journal zitiert: „Er hat die Träume seiner Zeit widergespiegelt“. McClain hat den Artikel kopiert und präsentiert ihn stolz dem Besucher. Genauso basteln in Lubbock Menschen an ihren eigenen Fantasien. Vor ein paar Jahren hat sich der Geschichtsprofessor Jim Reckner mit seiner Elite-Uni in Kalifornien überworfen. Man erzählt sich auf dem Campus der Texas-Tech-Uni, dass er nachts von seinen Studenten die Lastwagen mit seiner Sammlung packen ließ, die er jetzt im Vietnam-Archiv und -Center zur größten Recherchequelle für den Vietnamkrieg ausbauen lässt. Die größte muss es schon sein im größten Staat der Staaten, wenn man mal von Alaska absieht. Meredith McClain selbst arbeitet am größten Karl-May-Archiv für die Bibliothek der Texas-Tech-Universität.
Der im Kolonialstil gehaltene Campus gilt übrigens auch als der größte der USA. Ein schwacher Trost für die Studenten, die zwar mit ihren Pick-up-Trucks ganz nahe an die Uni ranfahren können, aber die, wenn sie Alkohol kaufen wollen, dieselben Pick-ups erst mal aus der Stadt rausfahren müssen. In einem Streifen entlang der Stadtgrenze, direkt an den Baumwollfeldern liegt Little Las Vegas, ein Reihe von Läden, die bis unter die Decke mit Bier, Whiskey und Schnaps voll geladen sind. Schließlich müssen sie eine 200.000-Einwohner-Stadt versorgen. In Lubbock selbst gibt es Bier nur in Bars, und die haben puritanische Öffnungszeiten.
In der Bibliothek weiß man übrigens von dem Karl-May-Archiv noch nichts. Aber auch Bruce Cammack, der die Sondersammlungen koordiniert und der irgendwann aus New York hier runterkam, hat seine eigenen unbegrenzten Möglichkeiten entdeckt. Er archiviert Nachlässe der texanischen Freidenker, die Mitte des 19. Jahrhunderts meist aus Norddeutschland in die Gegend um Fredericksburg zogen und da Adelsvereine und Schützenvereine gründeten. Cammack hofft, dass sich bald die Wissenschaftler über die Sütterlinbriefe beugen, die von der Kommune Bettina von Arnim und der großen Revolution erzählen.
In Lubbock, Texas, mischt sich auf merkwürdige Weise das Schlimmste der Staaten mit dem Besten. Ein Freund, den es auf unabsehbare Zeit dorthin verschlagen hat, erklärte mir einmal, dass er manchmal glaubt, er befinde sich auf einem anderen Planeten. Der Flughafen liegt so bizarr im großen Nichts, dass er an eine Mondlandschaft erinnert. Immerhin, so findet er, ist Lubbock dadurch ganz und gar unvergleichlich.
Vielleicht sieht man, wenn man aus Lubbock, Texas, herausfährt, ja tatsächlich ein besondere Form von Glück im Rückspiegel. Buddy Holly schien in seinem kurzen Leben mit seiner Geburtsstadt zufrieden. Und auch Mac Davis versöhnt sich am Ende seines Lieds mit seiner Heimat. JUDITH LUIG
I guess happiness was Lubbock Texas in my rear view mirror. But now happiness is Lubbock Texas growing nearer and dearer and the vision is getting’ clearer in my dreams