: Marzipan und Mafia
Ein Besuch der sizilianischen Stadt Cantania mit dem italienischen Krimi-Autor Ottavio Cappellani
von STEFFEN GRIMBERG
Vor ein paar Jahren hat vor der Garibaldi-Statue in der Via Sant’euplio in Cantania ein Kopf gelegen. Niemand bekam heraus, wer es war. Schon gar nicht die Polizei. „Aber der, für den diese Botschaft bestimmt war, hat’s bestimmt verstanden“, sagt Ottavio Cappellani. Mafia? – „Wer weiß?“, sagt der Journalist und Autor, dessen Mafia-Roman „Wer ist Lou Sciortino“ die italienische Presse als „sizialanische Version von ‚Pulp Fiction‘ “ pries.
„Es hat lange keiner mehr die sizilianische Mafia so beschrieben, wie sie wirklich ist“, sagt Cappellani, studierter Jurist und Rechtsphilosoph mit Faible für die Frankfurter Schule und Karl Kraus. Er hatte der Mafia zunächst per Essay zu Leibe rücken wollen, dann aber gemerkt: „Es geht nur im Roman.“
Mafia früher, das war wie der catanesische Barock, in dem die Stadt am Fuße des Ätna nach Vulkanausbruch und Erdbeben von 1693 einheitlich wieder aufgebaut wurde. Schwarzer Lavabasalt und cremefarbener Sandstein, soweit das Auge reicht. Klare Regeln, Straßen mit überraschend rechten Winkeln.
Bei der Mafia heute hingegen könne von klaren Regeln, von einem Kodex nicht mehr die Rede sein, meint Cappellani. „Die Mafia ist zwar immer noch ziemlich lebendig, aber die alten Strukturen und Regeln sind futsch. Alles geht anarchisch durcheinander.“
Und so kommt Lou Sciortino, Enkel eines New-Yorker Mafiabosses mit catanesischem Stammbaum, in einer reichlich aufgewühlten Hafenstadt an. Bei Don Scali, einem alten Freund des Großvaters, soll sich Sciortiono junior eine Auszeit nehmen, nachdem der Boden in den Staaten zu heiß für ihn geworden ist. Doch Scali hat ganz andere Sorgen: Seine Handlanger haben völlig grundlos einem Polizeikommissar das Hirn aus dem Schädel gepustet in Zio Mimmos kleinem Drogeriegeschäft in der Via Pacini. Nun muss der Mafioso, offiziell Herr über eine Marzipanfabrik, einen Schuldigen präsentieren. Scali spannt seinen Schützling Lou in die Verschleierungsaktion ein und bricht damit gleich das nächste Mafia-Tabu. Und so macht sich auch der Großvater mit seinem „Mitarbeiter“ Oleander-Pippino („Pippinos Spezialitäten sind Messer“) in die alte Heimat auf …
Klingt alles sehr weit hergeholt? Die kleinen Drogerien, die mit handtuchbreiten Schaufenstern die enge Via Pacini säumen, gibt es jedenfalls. Dahinter, auf der Piazza Carlo Alberto, ist der große Markt. Obst, Gemüse, Fleisch in Mengen: Der Rinderbraten wird archaisch mit langen Messern aus einem Riesenstück unter freiem Himmel herausgeschnitten. Gegen die Mittagshitze hilft Seltzer, ein Gemisch aus Sodawasser, Salz und Zitronensaft. Auch Marzipan, diese andere große sizilianische Spezialität, ist überall zu haben.
Einwürfe, spätestens mit dem Auftritt des singenden Waffenhändlers werde sein Roman dann aber endgültig arg surreal, mag Cappellani jedenfalls gar nicht: Mit einem „Kommt mit“, schleift er den Zweifler vor den Schaukasten der Firma Zaccá Sport in der Via della Posta. Darin posiert auf einem Foto Commendatore Orazio Zaccá neben dem Bischof, darunter werden Musikkassetten feilgeboten: „Brani da Opere Liriche e Canzoni“. Zaccá handelt mit allem, vom Wurfmesser bis zum Gewehr. Der Oleander-Pippino, erzählt Cappellani dann später bei einem Stück Marzipan, sei übrigens nach dem Vorbild eines Leibwächters seines Vaters entstanden. Aber bitte keine Missverständnisse: Der habe den Baron früher lediglich auf dem Weg zu den Ländereien zwei Stunden vor Cantania begleitet …
Ottavio Cappellani: „Wer ist LouSciortino?“ Pendo Verlag, 2005, 136 Seiten, 17,95 €