45 Gründe, warum es mit Rot-Grün schön war
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■ Weil die Lektüre von 16 Seiten Arbeitslosengeld-II-Antrag mehr über das Land aussagt als 16 Seiten Wahlprogramm.
■ Weil niemand anders so schöne Begriffe wie „Ich-AG“, „Job Center“ und „Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandentschädigung (MAE)“ erfunden hätte.
■ Weil ein Holocaust-Mahnmal besser als ein Zentrum gegen Vertreibungen ist.
■ Weil einem endlich erspart bleiben: Helmut Kohl, Theo Waigel, Manfred Kanther, Klaus Kinkel, Claudia Nolte, Volker Rühe und Matthias Wissmann.
■ Weil am Sonntag das Trauerspiel endlich vorbei sein wird – und Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. (Auch wenn das, was folgt, noch trüber sein dürfte …)
■ Weil der Wahlsieg 1998 eine Erlösung war und die Erinnerung schön bleibt. Trotz allem.
■ Weil unsere alten Bekannten plötzlich sehr wichtig waren und wir besser verstanden, wie Politiker funktionieren.
■ Weil wir uns an den Jo-Jo-Effekt gewöhnen konnten – bei Joschkas Lauf zu sich selbst und bei Oskars Lauf auch.
■ Weil die CDU sich 1998 so schön geärgert hat. Und noch schöner 2002, Stichwort: Stoiber, Sektflasche.
■ Weil Rot-Grün längst überfällige Reformen in der Gesellschaft angestoßen hat, vom Staatsbürgerschaftsrecht über die Kinderbetreuung bis zum Atomausstieg.
■ Weil Rot-Grün vielleicht noch gar nicht zu Ende ist.
■ Weil man einen Bundesminister (Trittin) auf Gomera treffen konnte.
■ Weil in die Kungelmaschinerie der deutschen Agrarlobby plötzlich ein paar alternative Bauern einzogen.
■ Weil die Nach-Willy-Brandt-SPD beigebracht bekam, dass Unternehmen genauso egoistisch sind wie alle anderen auch.
■ Weil die Currywurst rehabilitiert ist.
■ Weil man sich einige Jahre der Illusion hingeben konnte, es gebe für die Konservativen keine strukturelle Mehrheit im Land.
■ Weil Mittelmaß auch das Maß aller Dinge sein darf.
■ Weil wir sonst jahrelang weitergeträumt hätten, wie schön es unter Rot-Grün wäre.
■ Weil die Frauen des Außenministers immer so angenehm anzuschauen waren.
■ Weil ein zweites Bitburg nicht denkbar war.
■ Weil es einfach cool ist, einen Bundeskanzler zu haben, der hinter seinem Schreibtisch ein großes Bild von einem stürzenden Adler hängen hat.
■ Weil endlich dieses unsägliche Blut-Staatsbürgerrecht ein Ende fand.
■ Weil man sich angesichts rot-grüner Realpolitik so wunderbar verraten fühlen konnte.
■ Weil Rot-Grün zumindest versucht hat, seinen BürgerInnen eine Nasenlänge voraus zu sein und nicht zuerst den Stammtisch zu bedienen.
■ Weil der Kanzler wenigstens in der Irakfrage stur geblieben ist.
■ Weil Schwule und Lesben auch nur Familienmenschen sind.
■ Weil es wieder Windmühlen gibt, gegen die man kämpfen kann.
■ Weil Joschka Fischer uns gelehrt hat, dass jede äußere Form relativ ist.
■ Weil Joschka Fischer uns gelehrt hat, dass auch Schuldeingeständnisse relativ sind.
■ Weil Münte alte Feinbilder recycelt, aber seine Frisur verändert hat.
■ Weil Urlaubsbilder aus Italien schöner sind als die vom Wolfgangsee.
■ Weil man trotz subproletarischer Herkunft, zweiten Bildungswegen, gescheiterten Ehen und Sinn für schöne Dinge offenbar ganz nach oben kommen kann.
■ Weil die Bauern ihre Ministerin hassen.
■ Weil wir gelernt haben, dass es nicht „Zweitausendzehn“ wie bei Kubrik, sondern „Zwanzigzehn“ wie bei Schröder heißt.
■ Weil der neue Reisepass den Wert meines Brieftascheninhaltes bald verdoppeln wird.
■ Weil Joschka Fischer sich zu einem der besten Außenminister entwickelt hat, die Deutschland jemals hatte.
■ Weil die Politiker endlich so aussahen wie Vertrauenslehrer.
■ Weil wir unter Schröder Papst wurden.
■ Weil wir Joschka vom Sofa aus beim langen Lauf zu sich selbst zusehen konnten.
■ Weil das Erneuerbare-Energien-Gesetz gemacht und durchgesetzt wurde.
■ Weil Toleranzseminare für Jugendliche besser sind als Nazikonzerte.
■ Weil keine Büchsen mehr im Park rumliegen.
■ Weil Dosensammeln auch ein schöner Sport sein kann.
■ Weil eine Tanktour nach Polen auch ein Trip ins Ausland ist.
■ Weil Rot-Grün das Ende des Zweireihers als Uniform deutscher Politiker bedeutete. Nicht einmal Wolfgang Clement schaffte es bei seinem Amtsantritt 2002, die Mode zu reanimieren. Dass inzwischen alle politischen Lautsprecher Nadelstreifen tragen, ist ein anderes Thema.
In der taz-redaktion gesammelt von PHILIPP DUDEK