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Archiv-Artikel

Pattsituation in Neuseelands Parlament

Bei den Parlamentswahlen erhält die regierende Labourpartei von Premierministerin Helen Clark einen Sitz mehr als die konservative Nationalpartei und verpasst die Mehrheit. Jetzt müssen die Chefs beider Parteien nach Koalitionspartnern suchen

VON URS WAELTERLIN

Die Parlamentswahlen in Neuseeland haben mit einem Patt geendet. Die Labourpartei von Premierministerin Helen Clark wurde mit 50 Sitzen zwar die stärkste Fraktion im Parlament, hat aber keine Mehrheit. Die Nationalpartei (NP) von Oppositionsführer Don Brash errang 49 Sitze. Beide Politiker wollen unter den sechs anderen Parteien Koalitionspartner suchen. Allerdings müssen noch 200.000 Briefwahlzettel ausgezählt werden.

Labour wird wahrscheinlich zum dritten Mal seit 1999 eine Regierung bilden. Mit Unterstützung der Grünen und anderer progressiver Parteien wie die der Maori sollte es Clark gelingen, erneut in Wellington eine Regierung zu bilden. Doch der Posten des Regierungschefs ist nicht mehr der alte. Das deutliche Votum für Brash zeigt, dass der Ex-Notenbankchef den Nerv der Neuseeländer getroffen hat. Der NP-Führer wird erste Gespräche mit NZ First führen, obwohl die nationalistische Partei vorab eine Regierungsbeteiligung ausschloss. Sollte es Brash nicht gelingen, eine regierungsfähige Koalition aufzubauen, wird der 65-Jährige vermutlich zurücktreten. Seine Chancen sind zwar gering, aber nicht unbedeutend.

Erstmals seit Jahrzehnten hatte die NeuseeländerInnen eine echte Wahl zwischen zwei Ideologien. Auf der einen Seite Labour mit dem Fokus auf soziale Gerechtigkeit. Auf der anderen Seite die NP mit neoliberalen Ideen. So versprach Brash, im Fall eines Sieges den Einkommensteuersatz drastisch zu senken, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Große Popularität gewann Brash mit seiner Kritik an den „Sonderrechten“ der Maori, den Ureinwohnern. Privilegien wie die seit 1867 geltende Reservierung von Parlamentssitzen sowie spezifische Gesundheitsprogramme will er abschaffen. Dass der Ökonom mit populistischen Ideen Erfolg hatte, war für viele Neuseelandfreunde im Ausland ein Schock. Denn die Reaktion zeigt eine weniger bekannte Seite der „Kiwis“: die des Neids und der Missgunst. Clark sagte gestern, der Wahlkampf habe die Gesellschaft gespalten. Sie werde bei der Koalitionsbildung eine Lösung anstreben, die „so breit und integrativ wie möglich ist“.

Man kann davon ausgehen, dass Clark ihr Wort halten wird: Die frühere sozialistische Studentenführerin und Unidozentin ist unter Spitzenpolitikern westlicher Demokratien eine der wenigen, die im Verlauf ihrer Karriere an ihren Grundprinzipien festhielt. Seit 1976 Vertreterin Neuseelands bei der Sozialistischen Internationale, argumentiert sie gegen ungezügelten Kapitalismus, für die Einbindung aller Teile der Gesellschaft und für Unabhängigkeit kleinerer Nationen. Genau deshalb ist Clark bei ihren BürgerInnen sehr beliebt– auch bei vielen NP-AnhängerInnen. Die hätten als Premier lieber Clark als den „langweiligen“ Brash.

Diese fast groteske Situation erstaunt nicht: Grundsätzlich sind die Neuseeländer eher fortschrittlich. Als weltweit Erste gaben sie 1893 den Frauen das Stimmrecht. Sie verbannen bis heute nuklear betriebene US-Schiffe aus ihren Gewässern. Sie nehmen jährlich tausende Einwanderer und Flüchtlinge auf. Obwohl der Erfolg von Brashs Rassenpolemik ein anderes Bild zeichnet, ist das Verhältnis zwischen der weißen Bevölkerung und den Maori recht gut.

Auswärtige Beobachter dürfte erstaunen, dass Brash im Wahlkampf die „linke“ Labour-Ideologie nie ernsthaft ins Feld führte. Eine solche Strategie wäre zum Scheitern verurteilt gewesen: Auf Clarks Konto geht der größte Wirtschaftsboom seit Jahrzehnten. Die Arbeitslosenquote ist auf 3,7 Prozent gesunken, die Haushaltskasse im Plus. Auch wenn von Clark selbst auf Eis gelegt, waren es die von Labour in den 80ern eingeleiteten drastischen Maßnahmen zur Deregulierung der Wirtschaft, die das Fundament für die heutige positive Situation legten. Somit ist Clark für ihre AnhängerInnen Beweis für die unpopuläre These, dass soziale Verantwortung des Staates und freie Marktwirtschaft Hand in Hand gehen können. Ein Beobachter meinte, im Fall ihrer Wiederwahl werde Clark von den letzten progressiven Politikern der Welt als Heldin gefeiert. Wenn sie aber untergehe, „dann in einem Flammenmeer sozialdemokratischer Pracht“. Die Extrembergsteigerin wäre zäh genug, einen solchen Absturz zu überleben.