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Archiv-Artikel

Im Regen ein Dach überm Kopf

aus Aceh Anett Keller

Am Basislager von Lhoong im Nordwesten von Aceh herrscht emsiges Treiben. Drei Männer laden weiße Wandplatten von einem Lkw ab. Ein paar Schritte weiter warten unter grünen Zeltplanen 5.000 Holztüren auf ihren baldigen Einsatz. Hundertschaften von Obstbaumsetzlingen stehen zum Pflanzen bereit. Zwischen halbfertigen Häusern schaukelt ein Pick-up mit Betonringen. Überall wird gehämmert und gewerkelt. Lhoong gehört zu den vom Tsunami besonders schwer betroffenen Gebieten. Vor der Katastrophe lebten in den 20 Dörfern des Distrikts über 8.000 Menschen. Fast 3.500 von ihnen überlebten den 26. Dezember 2004 nicht.

Inzwischen haben sich die Hilfswerke der Caritas Deutschland und Österreich der Region angenommen. In Zusammenarbeit mit der lokalen Organisation Mamamia unterstützen sie die Überlebenden beim Wiederaufbau. 200 Häuser wurden im Distrikt Lhoong bereits gebaut. 1.000 weitere sind geplant. Die Bewohner von Lhoong bauen selbst mit. Jede Familie erhält neben dem Baumaterial im Wert von 30 Millionen Rupiah (etwa 2.600 Euro) einen Geldbetrag von 5 Millionen Rupiah (etwa 440 Euro). Das entspricht in Aceh mehreren Monatsgehältern. Je mehr die Dorfbewohner selbst Hand anlegen, umso mehr des Geldes können sie sparen. „Die Aktivitäten beim Hausbau richten den Blick nach vorn und lenken die Überlebenden von ihren traumatischen Erinnerungen ab“, erklärt der Österreicher Alexander Bodmann, der das Projekt vor Ort für die Caritas betreut.

Jedes Haus ist gleich konzipiert: 42 Quadratmeter, die Außenwände aus Holz, darüber ein Wellblechdach. Drinnen Wohn- und Schlafraum sowie Küche und Bad. „Wer mit einem Anbau oder Verzierungen seinem Haus eine individuelle Note verleihen will, kann das später gern tun“, so Bodmann. Zunächst gehe es jedoch um eine gerechte Verteilung, um Streit zu vermeiden. Und darum, den Leuten möglichst schnell wieder ein eigenes Dach über dem Kopf zu verschaffen.

Von den für eine halbe Million Obdachlose benötigten 120.000 Häusern sind bislang ganze 6.000 wieder aufgebaut. Weitere 12.000 sollen in den nächsten zwei Monaten fertig werden. Der unmittelbar bevorstehenden Regenzeit sehen tausende Überlebende nach wie vor in Zelten entgegen. Dennoch scheinen es manche Organisationen beim Hausbau nicht allzu eilig zu haben. Monatelang werden teuer eingeflogene Architekten mit der Planung von Musterhäusern beschäftigt. Häufig steht man sich beim Konkurrenzkampf um die prominentesten Dörfer gegenseitig im Weg. Bei Kritik am langsamen Vorankommen verweisen viele Helfer darauf, dass seitens der indonesischen Behörden keine klaren Regelungen zum Hausbau erteilt wurden.

„So ein Haus, das sind vier Wände, ein paar Fenster und Türen. Dafür brauch ich doch kein umfangreiches Regelwerk“, sagt Ralph Pahlmann, Chef des Aceh-Teams des Technischen Hilfswerks (THW). Pahlmann fühlt sich bei den stundenlangen Koordinierungstreffen der internationalen Helfer „teilweise sehr an Loriot erinnert“. Das THW verlasse sich beim Häuserbau vor allem auf „gesunden Menschenverstand“ und schaue sich als Vorbilder die Häuser an, die Beben und Flut heil überstanden haben. Dennoch müssen auch die Pragmatiker vom THW Verzögerungen hinnehmen.

In Meunasah Baru im Distrikt Leupung, wo das THW mit Spenden aus dem Saarland 155 Häuser baut, muss umgesiedelt werden. Nur 370 der 1.110 Einwohner haben dort den Tsunami überlebt. Die Einwohner wollen nun nicht zurück ans Meer, sondern sich ihre neue Existenz im Hinterland aufbauen. Dafür müssen zunächst Grundstücke erworben werden.

Es ist ein komplexes Gemisch aus Verwaltungsaufwand, zu starren Strukturen auf Helfer- wie auf indonesischer Seite und dem riesigen Ausmaß der Katastrophe, das den Wiederaufbau für viele Betroffene langsam erscheinen lässt. Und manchmal sind es sogar Spender, die mit ihren allzu strikten Vorgaben einen flexiblen und damit zweckdienlichen Einsatz ihrer Gelder verhindern. Seit Monaten bemüht sich die Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH (InWEnt), die im Rahmen der vom Bundeskanzler ausgerufenen Partnerschaftsinitiative gespendeten Gelder ihrem Verwendungszweck zuzuführen. „Vereine, Kommunen und Einzelpersonen haben oft sehr konkrete Vorstellungen, was mit ihrem Geld geschehen soll“, erklärt Ramin Soufiani von der Servicestelle der Partnerinitiative. „Oft lässt sich das aber vor Ort gar nicht umsetzen. Wir können doch nicht zwei Kilometer einer Wasserleitung fotografieren und dann sagen, die sind von Kommune X oder Y“, sagt Soufiani.

Nicht umsonst wurde die Bilanz der Initiative nach einem halben Jahr mit „Die Entdeckung der Langsamkeit“ überschrieben. Von 1.361 Spendenangeboten wurde bislang etwa die Hälfte in konkrete Projekte vermittelt. Fast ein Fünftel konnte nicht vermittelt werden. Oft steht dem guten Willen der Spender eine große Ahnungslosigkeit über die Gegebenheiten in den betroffenen Ländern im Weg. So gab es zum Beispiel einen enormen Spendenwillen für Waisenhäuser. „Es gab jedoch überhaupt nicht so viele Waisen in den betroffenen Gebieten, wie Gelder für sie vorhanden gewesen wären“, erinnert sich Soufiani. Die Familienstrukturen in Sri Lanka, Thailand oder Indonesien sorgen dafür, dass die meisten Waisen bei Angehörigen Unterschlupf finden.

THW-Mann Pahlmann erklärt die Hürden aus der Vor-Ort-Perspektive. Er nennt ein Beispiel: Jemand möchte ein paar hundert Euro für neue Stühle in einer Schule spenden. Für jede Spende, unabhängig von ihrer Höhe, müssen vor Ort Einzelkonten in Euro und in Rupiah angelegt werden. Dann muss ein Mitarbeiter eine bedürftige Schule identifizieren. Es folgt eine Ausschreibung, um für die Stühle das beste Preis-Leistungs-Verhältnis zu bekommen. Und so weiter. Den Bedürftigen sei deshalb mit einem weiter gefassten Spendenzweck, wie zum Beispiel „Bildungseinrichtung“, viel besser geholfen. Dann nämlich kann InWEnt verschiedene Spender zusammenführen, und mit größeren Beträgen gleich ganze Schulen wieder aufbauen und zusätzlich in Lehrmittel investieren.

Doch nicht allen Spendern geht es in erster Linie ums Helfen. Pahlmann berichtet von einem Unternehmer aus Süddeutschland, der eine halbe Million Euro für die Renovierung des Stadtverwaltungsgebäudes von Banda Aceh an das THW spenden wollte. Dass der Unternehmer voraussetzte, dass das neue Gebäude in der Provinzhauptstadt seinen Namen trägt, kam ihnen zwar etwas übertrieben vor, aber „Hauptsache, es wurde wieder aufgebaut“. Wochenlang liefen auf THW-Seite die Vorbereitungen.

Ein Besuch des Geschäftsmanns und ein Treffen mit dem Bürgermeister von Banda Aceh waren geplant. Doch eine Woche vor der erwarteten Ankunft sagte der Unternehmer ab. Nicht nur den Besuch, auch seine Spende. Er habe inzwischen erfahren, dass Aceh so gut wie nicht touristisch erschlossen sei. Und damit sei das Gebäude schließlich kein bisschen werbewirksam.