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■ 54. Nordische Filmtage Lübeck
Ein bis auf den letzten Platz volles Kino an einem Freitagmorgen um 11 Uhr ist auch bei einem alteingesessenen Filmfestival alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Noch dazu bei einem für die meisten deutschen Zuschauer eher obskuren Film aus Norwegen mit dem Titel „Kompanie Orheim“. Nur in Lübeck ist der jugendliche rothaarige Held, der sich in dieser typischen Coming-of- Age-Geschichte mit seinem alkoholsüchtigen Vater herumschlagen muss, kein Unbekannter. Denn auf den Nordischen Filmtagen waren auch schon die beiden Vorläufer der Film- und Romanserie über die Jugend von Jarle Klepp mit großem Erfolg gezeigt worden. Durch die Ausrichtung auf Filme aus Skandinavien hat das Filmfest sich über die Jahre ein Publikum von Kennern der Filmkulturen von Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen herangezogen. So gut wie alle wichtigen Spielfilme, die seit den 60er Jahren in dieser Region produziert wurden, sind in Lübeck gezeigt worden. Und so erinnert sich der 1931 geborene schwedische Regisseur Jan Troell bei der Vorstellung seines Alterswerks „Das Letzte Urteil“ daran, dass er 1960 auch schon seinen ersten Film in Lübeck gezeigt hat.
Zu den Publikumslieblingen unter den 149 gezeigten Filme zählten jene von den alten Bekannten: Bille August hat nach vielen Jahren und Hollywoodproduktionen mit „Marie Krøyer“ wieder einen Film in Dänemark gemacht. Das historische Kostümdrama über die Ehefrau des berühmten dänischen Malers Peder Severin Krøyer ist ein wenig behäbig in Szene gesetzt, doch Birgitte Hjort Sørensen ist in der Titelrolle so glänzend und intensiv, dass man ihr immer gebannt zusieht und deshalb dem Film seine Längen verzeiht. Susanne Bier, die in den letzten Jahren mit politisch engagierten Dramen großen Erfolg hatte, überraschte mit „Love Is All You Need“. Mit einer Hochzeit in Italien, einem untreuen Ehemann, seiner neuen jungen blonden Freundin, einer zänkischen Verwandten und Pierce Brosnan als attraktivem, doch ruppigen Vater des Bräutigams ist dies eine romantische Komödie, die schon fast zu genau auf das weibliche Zielpublikum zugeschnitten ist. Dabei überrascht um so mehr, was Bier alles aus der Standardsituation herausholt, wie es ihr immer wieder gelingt, die Klischees zu brechen und wie unangestrengt komisch sie hier inszeniert.
Der Abräumer der Filmtage war aber Thomas Vinterberg mit „Die Jagd“. Bei der feierlichen Preisverleihung am Samstagabend musste er gleich dreimal auf die Bühne, denn mit dem Publikumspreis, dem Baltischen Filmpreis und dem NDR Filmpreis bekam sein Film gehäuft die wichtigsten Auszeichnungen des Festivals. Und tatsächlich war dies der herausragende Film des Festivals. Vinterberg schafft hier eine Atmosphäre der schleichenden Bedrohung, wenn eine dörfliche Gemeinschaft eine Treibjagd auf einen einzelnen Mann veranstaltet. Mads Mikkelsen spielt diesen Pädagogen, der in den Verdacht des Kindesmissbrauchs gerät, mit einer erschütternden Verletzlichkeit.