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Archiv-Artikel

Der andere 9. November

REICHSPOGROMNACHT Ein Zeitzeuge erinnert bei Gedenkveranstaltung an die Übergriffe auf Juden

Rund 150 Menschen haben am Montagabend in Moabit anlässlich des 71. Jahrestages der Reichspogromnacht der Opfer gedacht. Die Demonstranten versammelten sich bei strömendem Regen vor dem Denkmal der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße. Mit dabei war auch der Zeitzeuge Peter Neuhof, der – geboren 1925 – den Nationalsozialismus als Jugendlicher erlebte. Neuhof stammt aus einer jüdischen Familie.

Bei der Kundgebung erzählte er über seine eigenen Erfahrungen, über Deportationen von Verwandten und die Erschießung seines Vaters im KZ Sachsenhausen. Die Mörder eines nahen Verwandten wurden nach dem Krieg nur zu geringen Strafen verurteilt: „Jahre später wollten so viele Berliner von all dem nichts gewusst haben.“ Neuhof forderte ein Verbot aller neonazistischen Organisationen und mahnte: „Es gibt kein Gedenken an gestern, ohne an heute zu denken.“

Eine junge Teilnehmerin sagte: „Ich finde es wichtiger, an das Pogrom zu erinnern, als den Mauerfall zu feiern.“

Protest gegen rechts

Die Kundgebung mit anschließender Demonstration zum Deportationsmahnmal an der Putlitzbrücke findet seit 1990 statt. „Anfangs war es eher ein Kiezspaziergang“, sagt ein Mitglied der Antifaschistischen Initiative Moabit (AIM), die die Veranstaltung organisiert. Die Route lehne sich an den Weg an, den Juden vor der Deportation aus dem von der Gestapo angewiesenen Durchgangslager in der ehemaligen Synagoge bis zum Güterbahnhof Putlitzstraße gehen mussten. Die Nazis hatten die Synagoge in der Reichspogromnacht angezündet, sie brannte teilweise aus. Nach dem Ende des Krieges wurde das zerstörte Gebäude abgerissen.

Die Organisatoren wollen mit der Demo auf der einen Seite ein Gegengewicht zum Jahrestag des Mauerfalls schaffen, der das Gedenken an die Reichspogromnacht zunehmend überlagere. „Außerdem kamen Ende der 80er-Jahre die Republikaner in einige Bezirksverordnetenversammlungen“, berichtet der Antifa-Aktivist. Da habe man dafür sorgen wollen, dass die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät. SVENJA BERGT