berliner szenen Herbst in der Luft

Heroes, französisch

„Allet Gute kommt von oben …“ steht auf der großen Hauswand, ganz oben. Jedes Mal, wenn ich hier bin, frage ich mich, ob es nicht „Allet Jute …“ heißen sollte und wie jemand dort hochgestiegen ist, um das zu schreiben. Ein paar Hunde jaulen. Der Sänger darunter ist in rotes Licht getaucht. Er unterbricht sein französisches Lied, entschuldigt sich und macht weiter. Das Lied ist traurig. Der Sänger sieht noch trauriger aus. Drei Spanierinnen diskutieren lautstark neben mir, nicht über die Musik. Ich mag die Melancholie in dem Lied und ich mag auch den Herbst. Eine S- Bahn fährt vorbei und übertönt das Finale des Songs. Der Applaus ist spärlich. Der Himmel ist bewölkt. Die zwanzig Zuhörer tragen Kapuzenpullis. Der Wind beißt. Herbst liegt in der Luft. Auf dem Weg hierher habe ich einen Kastanie aufgehoben und in die Tasche gesteckt.

Der Sänger steht unter einem Dach aus Wellblech. Das nächste Lied kenne ich, David Bowies „Heroes“. Auf einmal stelle ich mir den Sänger vor, wie er fünfzehn Jahre zuvor vor einem Kassettenrekorder sitzt und dieses Lied ins Französische übersetzt. Wir sitzen alle unter freiem Himmel. Ich spiele mit der Kastanie in meiner Tasche. Im Frühling werde ich sie dort verschrumpelt wiederfinden. Zu essen gibt es für drei Euro und man kann Minigolf spielen für einen Tagesmitgliedsbeitrag von einem Euro, Sonnenburger- Ecke Kopenhagenerstraße.

Der Sänger flüstert ins Mikrofon, dass er gerne aufhören würde. Eine Stimme im Publikum ruft: „Dann mach doch. Keiner zwingt dich.“ Der Sänger hört auf zu spielen und verlässt die Bühne mit den Worten: „Das ist alles ein bisschen deprimierend hier.“ Er hat einen französischen Akzent. Es fängt an zu regnen.

MAREIKE BARMEYER