: Musik, die einen durchknetet
Gitarre Das könnte jetzt ewig so weitergehen: Rocklegende Thurston Moore stellte beim Jazzfestival „A l’arme!“ im Radialsystem sein aktuelles Soloalbum vor. Die Mischung aus Krach und Rhythmus stimmte
von Stephanie Grimm
An der Bar des Radialsystems radebrecht ein junger Mann auf Englisch: „I never managed to see to Sonic Youth, now I have to pick up the pieces.“ Was auch immer er damit genau meint – seine Begleitung nickt jedenfalls verständnisvoll. Vermutlich beklagt er, dass man sich als Spätgeborener an die Soloprojekte der Ex-Mitglieder dieser so einflussreichen, seit 2011 getrennten Noise-Rock-Band halten muss.
Nun denn, musikalisch aktiv sind sie ja alle noch (außer Ex-Frontfrau und Bassistin Kim Gordon, von der man abgesehen von der Autobiografie „Girl in a Band“ seither wenig gehört hat). Und da Thurston Moore das klangliche Erbe der Band eindeutiger weiterträgt als etwa der zweite Gitarrist Lee Ronaldo, ist der junge Mann hier richtig.
Gastgeber am Freitagabend ist das Jazz- und Avantgarde-Festival A l’arme!, dementsprechend ist eine Mischung aus Festivalpublikum und Sonic- Youth-sozialisierten Moore-Fans zusammengekommen. Im Festival-Kontext hatte Moore zwei Tage zuvor schon gespielt, zusammen mit Caspar Brötzmann, was tatsächlich eher Experiment als Rock’n’ Roll war.
Nun tritt er mit seiner Band auf. Nun, ob es diese subventionierte Struktur braucht, um diesen etablierten Künstler mit seinen Fans zusammenzubringen, sei dahingestellt. Rückblickend aber muss man sagen: schön, sie in einem solch intimen Rahmen erlebt zu haben.
Noise-Gewitter
Bevor es losgeht, sitzt das Publikum entspannt auf den Treppen des Zuschauerraums. Es kommt extra jemand auf die Bühne und weist darauf hin, dass man ruhig aufstehen und näher kommen dürfe. Der Ermunterung wird nur verhalten nachgekommen.
Los geht es mit „Cease Fire“. Der tolle Anti-Schusswaffen-Song hatte das Album „Rock’n’ Roll Consciousness“, das hier vorgestellt wird, online angeteast, war dann aber auf der Veröffentlichung nicht zu finden. In den nächsten anderthalb Stunden gibt es ausufernde, nie abdriftende Instrumentalpassagen und eine perfekt austarierte Balance von Krach und Rhythmus, Sperrigkeit und Eingängigkeit. Singen tut Moore eher selten. Wenn, klingt das sehr geschmeidig. Zwischen den Songs: großartige Noise-Gewitter und ein maximal langer Feedback-Jam. Die Mischung von vertrauten und verstörenden Klängen ist stimmig, das Publikum bleibt jedenfalls dabei.
Ein bisschen fremdelt es nach wie vor mit der Nähe, die dieser überschaubare Raum ermöglicht. Der Abstand bleibt respektvoll. Erst langsam scheint den Leuten bewusst zu werden, welches Glück es ist, diese Soundwelle in diesem wenig rock-’n’-roll-haften, nur locker gefüllten Radialsystem zu erleben.
Moore tritt ab und zu Richtung Bühnenrand, vielleicht damit man ihm beziehungsweise seinem Gitarrenspiel auf die Finger gucken kann. Forscher und rockistischer werden die Posen des immer noch jungshaft wirkenden Schlaks nicht. Meist scheint er einfach versunken. Die Kommunikation bleibt minimalistisch, Ansagen gibt es keine. Seine Band stellt Moore erst vor, als sie nach einer ausgedehnten Zugabe endgültig von der Bühne gehen.
Mit Schlagzeuger Steve Shelley verbindet Moore eine lange Geschichte, schließlich trommelte der bereits bei Sonic Youth. Die Bassistin Deb Googe ist sonst bei My Bloody Valentine. Kein Wunder, dass sie ganz besonders bei „Cusp“, einem dynamischen wirbelnden und trotzdem drone-artigen Song in ihrem Element scheint. Das vierte Bandmitglied, James Sedwards, ist ein versierter englischer Gitarrist, über den der legendäre John Peel einmal sagte, er sei der einzige Mensch, der kein Fußballer ist und auf den er trotzdem neidisch sei.
Nach einem wunderbar verdrehten, alle Songdramaturgie auf den Kopf stellenden „Exalted“ und einem knackigen Abschiedsgruß „Peace and Love“ ist jedenfalls Schluss. Schade, das könnte jetzt ewig so weitergehen. Wie sehr einen diese Musik durchknetet, merkt man erst hinterher.
Nach dem Konzert stehen die beiden Spätgeborenen wieder an der Bar und betrachten stolz einen karierten Zettel. Einem Freund, der sich dazugesellt, erklären sie, sie seien einfach ins Backstage marschiert, bis sie auf die Band trafen. Bei dem Autogramm sei es ihnen übrigens nicht um Eigennutz gegangen. Tatsächlich steht auf dem schnell herbeiimprovisierten Zettel ein Geburtstagsgruß für einen Kumpel, von Thurston Moore persönlich.
Der 59-Jährige gehört offenbar nicht zu den Musikern, dessen Publikum mit ihm altert. Oder nur zum Teil. Jedenfalls verwundert nicht, dass 20-Jährige für ihn schwärmen, klingt er doch immer noch so viel besser als die zahllosen Epigonen, die seine ehemalige Band inspiriert hat.
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