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Archiv-Artikel

„Die schlechteste Konstellation“

Mürrisch bis frustriert zeigen sich Menschen in der U-Bahn am Morgen nach der Bundestagswahl. Den Anspruch von Kanzler Gerhard Schröder (SPD), im Amt zu bleiben, finden einige unglaubwürdig

„Es gibt keine klare Linie. Nun wird doch wieder alles irgendwie zusammengewürfelt“

von PHILIPP GESSLER

So ein Montagmorgen um kurz nach acht in einer U-Bahn ist keine gute Zeit, um Menschen zu befragen. Die wenigsten wirken ausgeschlafen, die Woche mit ihrer Mühsal oder Qual oder Langeweile steht bevor. Die Verkäuferinnen und Verkäufer der Obdachlosenzeitungen leiern ihren Text herunter und wollen Geld. Der Sommer ist vorbei.

Und dann gibt es da noch die Schlagzeilen, die man auf den Zeitungen derjenigen entziffern kann, die nicht dumpf vor sich hin stieren: „Kanzler-Krieg!“, titelt eine Zeitung, „Dieses Patt macht uns platt!“, meint eine andere. Nicht jeder ist so mürrisch wie jener Mann, der an der U-6-Haltestelle Reinickendorfer Straße wartet – er öffnet nicht einmal den Mund zu einer Antwort. Wie er das Ergebnis der Wahlen findet? „Kann ich nicht sagen.“ Ist es in Ordnung, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) trotz fehlender Mehrheit weiter die Kanzlerschaft beansprucht? Ein Zucken der Schulter. „Das ist Ihnen egal?“ – „Egal“, sagt der Mann. Gespräch beendet.

Ein 50-jähriger Mann im Anzug ist schon zugänglicher. Das Ergebnis der Wahlen vom Vortag sei für ihn die „denkbar schlechteste Konstellation“, sagt er. Der Ausbilder im Versicherungswesen will nicht sagen, welche Konstellation ihm lieber gewesen wäre, aber festhalten will er schon: Schröder müsse seine Hausaufgaben machen. Die stärkste Fraktion müsse den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen – und wenn dies denn Schröder mit seiner SPD wäre, „dann wäre es auch gut“, sagte der Mann.

Schlicht „schrecklich“ findet eine 37-jährige Altenpflegerin auf dem Weg zur Arbeit den Wahlausgang. Das Ergebnis sei „unbefriedigend“ – man weiß nichts“, sagt sie. Dass nun Schröder versuche weiterzuregieren, findet sie „nicht in Ordnung – ich hoffe nicht, dass es so kommt“. Zum ersten Mal seit vielen Jahren habe sie wieder die CDU gewählt. Dafür, dass die Demoskopen das Ergebnis der Wahl so falsch eingeschätzt haben, hat sie Verständnis: Schließlich sei bei dieser Wahl auch viel mit Angst „gespielt“ worden. Viele hätten sich erst in der Wahlkabine für eine Partei entschieden oder „in letzter Sekunde noch umentschieden“. Deutschland sei zudem offenbar „noch nicht reif für eine Frau als Kanzlerin“, sagt die Frau. Aber offenbar habe die Union derzeit keine bessere, meint sie resigniert.

Regelrecht „traurig“ zeigt sich eine andere Frau über das Wahlergebnis. Marina Jahn, eine Elektromechanikerin aus dem Wedding, sagt, sie habe gedacht, dass es eine „klare Linie“ gebe – aber nun werde doch wieder alles „irgendwie zusammengewürfelt“ und eine Notlösung praktiziert, meint sie resigniert. Dass Schröder weiter Bundeskanzler bleiben wolle, ist für sie „ein Scherz“. Die 43-Jährige lacht. Und was hat sie gewählt? „Auf keinen Fall SPD“, betont sie. Und lacht.