Angst vor den Linksabbiegern

Die Berliner Grünen zeigen sich erleichtert über das Wahlergebnis. Doch die Konkurrenz wächst: Während die Linkspartei im Westen angekommen ist, sehen die Grünen im Ostteil blass aus

„Heute wird gefeiert, morgen geht der Wahlkampf weiter“

von FELIX LEE

Es hätte in der Tat viel schlimmer kommen können für die Berliner Grünen: Umfragen hatten sie bundesweit in gefährlicher Nähe zur Fünf-Prozent-Hürde gesehen. Doch letztlich lag das Ergebnis nur leicht unter dem der vorherigen Bundestagswahl. Entsprechend war die Stimmung auch beim Berliner Landesverband: gelöst.

Mit 13,7 Prozent der Zweitstimmen haben die Berliner Grünen ein „sehr ordentliches Ergebnis“ erkämpft, verkündeten gestern einstimmig die beiden Landesvorsitzenden Almuth Tharan und Till Heyer-Stuffer. Der Stimmverlust betrug im Vergleich zu den Wahlen vor drei Jahren 0,9 Prozentpunkte; im Ostteil der Stadt haben die Grünen sogar zugelegt. Christian Ströbele konnte seinen Wahlkreis nicht nur verteidigen, sondern sein Ergebnis um 11,6 Prozentpunkte steigern; damit dürfte seine Rolle als einzig direkt gewählter Abgeordneter in der grünen Bundestagsfraktion weiter gestärkt sein. Und: Neben Renate Künast schicken die Berliner Grünen mit Wolfgang Wieland einen weiteren Politprofi in den Bundestag. „Wir gehen motiviert in den Abgeordnetenhauswahlkampf“, so Tharans Fazit.

Dennoch täuscht das Ergebnis nicht darüber hinweg, dass den Berliner Grünen bis Herbst nächsten Jahres eine schwierige Zeit bevorsteht. Zwar lassen sich Bundestags- und Abgeordnetenhauswahlen nicht eins zu eins miteinander vergleichen. Aber das Berliner Ergebnis der Bundestagswahl zeigt: Rot-Rot sitzt mit zusammen 50,8 Prozent im Senat so fest im Sattel wie seit dem Regierungsantritt 2001 nicht. Und so dürfte die Aufforderung von Renate Künast am Wahlabend, dass ein Tag zwar noch gefeiert werden darf, dann aber der Wahlkampf weitergehen muss, im Landesverband auf allgemeine Zustimmung gestoßen sein.

„Unser Ziel ist der dritte Platz unter den Berliner Parteien“, sagt Tharan und lässt durchblicken, wen sie als ärgsten Konkurrenten im Visier hat: Bisher war die Linkspartei.PDS vor allem die Volkspartei des Ostens, die höchstens dafür sorgte, dass die Grünen abseits der alternativen Szenebezirke im Ostteil der Stadt nicht Fuß fassen – nun ist es ihr mit Hilfe der WASG gelungen, den Grünen im Westteil der Stadt Stimmen abzuluchsen. In allen Westwahlkreisen konnte die Linkspartei zwischen 3,5 und 6 Prozentpunkte hinzugewinnen, während die Grünen im Osten nur minimal zulegten. Fünfzehn Jahre nach dem Mauerfall ist die Linkspartei im Westteil der Stadt angekommen, die Grünen im Osten hingegen kaum.

Auch wenn sich die SPD in den meisten Bundesländern nach wie vor lieber mit den Grünen als möglichem Koalitionspartner schmückt – die mangelnde Ostanbindung der Grünen könnte für die Sozialdemokraten der Grund sein, auch nach 2006 an der Linkspartei festzuhalten. Nach vier Jahren gemeinsamer Senatsarbeit zeigt sich für die SPD: Der derzeitige Juniorpartner ist wesentlich zahmer als es die aufmüpfigen Grünen im gemeinsamen Übergangssenat 2001 waren. Eine weitere Legislaturperiode würde das rot-rote Gespann noch weiter festigen.

Ein Ausweg für die Berliner Grünen könnte lauten: Die Fühler nach neuen Bündnispartnern ausstrecken. Die auf Bundesebene ins Gespräch gebrachte „Schwampel“-Koalition dürfte deswegen auch die Hauptstadt-Grünen interessieren. Tharan: „Wir zeigen uns gegenüber allen Parteien gesprächsbereit.“

Noch aber sehen die Berliner Grünen nicht nur eine Zusammenarbeit mit der Union kritisch – sie lehnen auch eine Ampelkonstellation ab: „Die Koalition mit einer Partei wie der FDP, die für soziale Kälte steht, die den Umweltschutz wirtschaftspolitischen Aspekten unterordnen will, die an der Atomkraft festhält und die starken Schultern zu Lasten der Schwachen entlasten will, ist für uns schwer vorstellbar“, sagt Heyer-Stuffer.

Noch. Bis Herbst 2006 kann sich viel tun. Nicht nur bei den Grünen.