: Kids wollen Aha-Erlebnis
Wie Politiker-Verdrossenheit entsteht: Jugendliche diskutieren am Weltkindertag mit den Mächtigen. Die reden von Sachzwängen, dabei fordern die Kleinen nur das Allernötigste wie Platz im Schulbus
von Kai Schöneberg
„Weltfremd“ sei dieser Gerd Hoofe gewesen. „Der hat auf meine Fragen einfach nicht geantwortet“, findet Franziska Goldkamp vom Osnabrücker Wirtschaftsgymnasium. Vorher hatte Hoofe, Staatssekretär im niedersächsischen Sozialministerium, von „Nachholbedarf“ geredet, als die 19-Jährige über den miserablen Zustand ihrer Schule klagte. Und davon, dass es für ihn „nicht so einfach“ sei, sich „in kommunale Belange einzumischen“. Auch wenn Hoofe vielleicht recht hatte: Wer fragt, wieso die Erstwähler am Sonntag nicht zur Urne gegangen sind, warum die Kids, die Zukunft der Demokratie, immer unpolitischer und enttäuschter von den agierenden Politikern werden, hätte Franziska und den anderen Jugendlichen an diesem gestrigen Weltkindertag vielleicht noch besser zuhören können.
Bereits am Wochenende startete im Rahmen des Welt-Events eine Kinderkulturkarawane in Osnabrück, gestern wanderten 5.000 Jugendliche um den Maschsee in Hannover. Es gab Diskussionen im Landtag, die Jüngsten sammelten Geld für Sportrollstühle und Tsunami-Opfer. Die Politiker appellierten. So CDU-Kultusminister Bernd Busemann, der wie vor ihm SPD-Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul vor einem Anstieg der Kinderarmut in Deutschland gewarnt hatte.
Reicht das? „Ich würde hier gerne mit Aha-Erlebnis rausgehen“, hatte Matthias Sommer während der Veranstaltung mit dem Staatssekretär gesagt. Während Hoofe darauf hinwies, dass 98 Prozent der Ausgaben des Ministeriumsetats durch gesetzliche Vorgaben fest verplant seien und man bei den restlichen zwei Prozent eben „Prioritäten“ setzen müsse, fragte der 17-Jährige: „Warum sind nicht mal 98,1 Prozent verplant und wir richten dafür in jeder Stadt eine Kindervertretung ein?“
Immerhin gibt es mittlerweile in 20 niedersächsischen Städten ein Jugendparlament, das sogar in den Ratsausschüssen mitreden kann. Man muss „nur mal so’n bisschen Druck machen“, meint Kai Opitz aus Delmenhorst, als sich ein Wunstorfer Schüler über zu volle Schulbusse beschwert. Da fragte selbst Hoofe, ob die Bereitschaft, „euch ernst zu nehmen“, nicht „an mancher Stelle bloße Show, bloße Kosmetik“ ist.
Ohne Zweifel: Der CDUler Hoofe, der seiner Ministerin Ursula von der Leyen nach Berlin folgen könnte, gibt sich redlich Mühe, aber da existiert wohl ein Kommunikationsproblem. Die Großen denken an „Jamaika“ und Macht- und Sachzwänge, die Kleinen sprechen über das Allernötigste: Freunde, die keinen Job bekommen, weil sie Ausländer sind, das Rauchverbot an den Schulen, das bereits zu Straßenunfällen führte. Oder über Schulen, die zusammengelegt werden, um zu sparen. Während die 19-jährige Franziska über ausgegrenzte Hauptschüler redet und darüber, dass sich weder Rot-Grün in Berlin noch Schwarz-Gelb in Hannover wirklich um die Bildung kümmerten, betont Hoofe, nein, bei diesem Thema gehe es „nicht nur um Fensterreden“. Immerhin habe inzwischen jede Hauptschule im Land ihren Sozialarbeiter. Während Franziska aber betont, die Vernachlässigung sei eine „Tatsache“, betont Hoofe, er wolle das „auf der Gefühlsebene auch akzeptieren“. Vielleicht ist die Jugend gar nicht so politikverdrossen, sondern eher Politiker-verdrossen.