Ein Machttier geht heim

Joschka Fischer, Übervater der Partei, beendet seine eigene Ära und nimmt das rot-grüne Projekt gleich mit nach Hause

AUS BERLIN JENS KÖNIG
UND ULRIKE WINKELMANN

Dieser Moment ist ein Einschnitt in der grünen Parteigeschichte, und er geht im dunklen Anzug und gedämpften Ton über die historische Bühne. Joschka Fischer steht im Reichstag und verkündet nicht weniger und nicht mehr als die Tatsache, dass es den Joschka Fischer, den die Grünen, den das Land, den die Regierungen in aller Welt kennen, nicht mehr geben wird. Er erklärt hier im Prinzip seinen Rücktritt als Außenminister, obwohl er doch „nur“ bekannt gibt, dass er nicht als grüner Fraktionschef oder für sonstige Ämter in der Partei zur Verfügung steht. „Ein Lebensabschnitt, ein zwanzigjähriger, geht zu Ende“, sagt Fischer. Die Stimme fest, der Blick geradeaus. Partei und Fraktion bräuchten eine Neuaufstellung. „Dafür muss Klarheit herrschen, und zu dieser Klarheit habe ich beigetragen.“

Joschka Fischer, der letzte Streetfighter der deutschen Politik, redet so emotionslos, als verkünde er gerade den Abschluss eines Friedensvertrages in Westtimbuktu. Die Entscheidung sei erst heute gefallen, sagt er. Er bleibe seiner Partei verbunden. Und er sei erwachsen genug, zu wissen, dass man nicht von hinten hineinregieren darf. Selbst als er gesteht, „ein Stück Emotion sei auch dabei“, wirkt er seltsam gefasst.

Das ist natürlich nur der äußere Schein, die Hülle, der Politiker im Staatsmannsanzug, der in der Öffentlichkeit seine Emotionen nicht ausbreiten will. Drinnen im Fraktionssaal, wo er ein paar Minuten zuvor für alle überraschend seine Entscheidung bekannt gegeben hat, war die Stimmung schon sehr aufgewühlt. Alle grünen Abgeordneten sind aufgestanden und haben Fischer mit minutenlangem Beifall verabschiedet. Der war angesichts dieser Liebesbekundung sehr gerührt. Alle, so werden sie es hinterher beschreiben, hatten in diesem Moment das gleiche Gefühl: große Dankbarkeit gegenüber einem Mann, der die grüne Geschichte wie kein anderer verkörpert, der seine Partei als heimlicher Vorsitzender gelenkt, sie in die Regierung geführt, sie sich aber auch oft untertan gemacht hat. Vom Machttier Fischer, der in seiner langen Karriere nie aufgehört hat, ein darwinistisches Politikverständnis zu pflegen, war in diesem Augenblick nichts zu sehen. Selbst ein junger Abgeordneter wie Markus Kurth, in vielen politischen Fragen mit seinem Außenminister über kreuz, hatte nur das Große im Sinn. „Hier geht eine Ära zu Ende“, sagte er.

Die Motive für Fischers Entscheidung liegen an diesem Tag natürlich noch im Dunkeln. Will er wirklich „nur“ den Generationswechsel in seiner Partei einleiten? Oder will er bestimmten Koalitionen nicht im Wege stehen? Will er dem Kanzler ein Zeichen geben, dass zu einem großen Politiker auch ein großer Abgang gehört? Oder ist es etwa das Eingeständnis eines Politikers, der erkennt, dass es Zeit für den Abschied ist, weil der Gang seiner Partei in die Opposition als sicher erscheint und er sich nicht zum x-ten Mal neu erfinden will, weil er sich gar nicht mehr neu erfinden kann als Oppositionsführer, der er doch in der Kohl-Ära schon mal war? Oder vollführt hier ein Mensch, der seit Jahren im brutalen Dauerstress lebt, einen privaten Befreiungsschlag? Bei einem wie Fischer ist das kaum vorstellbar, und doch ist vielen Abgeordneten einer seiner Sätze in besonderer Erinnerung. „Vor zwanzig Jahren habe ich meine persönliche Freiheit gegen die Macht eingetauscht,“ hat Fischer da gesagt, „die Freiheit will ich jetzt zurückhaben.“ Und so will er seinen Rückzug natürlich nicht als versteckte Aufforderung an seinen Schicksalsgenossen und Rivalen Gerhard Schröder verstanden wissen. Als ein Journalist draußen vor der Tür fragt, ob der Außenminister sich von seinem Kanzler wünscht, dass dieser ebenfalls abtrete, antwortet Fischer: „Ich wünsche gar nichts. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag. Und jetzt gehe ich nach Hause.“

Fischer daheim, die Grünen machen ohne ihn weiter – was für ein Sinnbild für den neuen, fragilen Zustand der Partei, die jetzt das leisten muss, was sie nie geschafft hat, als der Übervater noch da war: sich von ihm zu emanzipieren. Man kann es getrost als Zeichen für die neue Unübersichtlichkeit, aber eben auch für die Lebendigkeit dieser Partei lesen, dass sich an diesem Nachmittag gleich fünf Grüne um die zwei Sitze im Fraktionsvorsitz bewerben: Katrin Göring-Eckardt und Krista Sager, Jürgen Trittin sowie das Duo Fritz Kuhn und Renate Künast. Der Ausgang des Rennens ist offen – wie so vieles bei den Grünen nach Fischers historischem Abgang.