Ich will alles, und zwar sofort

Warum so gern solche Schnulzen wie „Wind of Change“ oder Retortenschlager wie „Looking for Freedom“ als Soundtrack für den Verwaltungsakt der Zusammenführung beider deutscher Teilstaaten verwendet werden, ist selbsterklärend. Der sentimentale Irrglaube, die ehemaligen DDR-BürgerInnen hätten sich nichts sehnlicher gewünscht als die Teilnahme an freien und geheimen Wahlen, das dazugehörige Wirtschaftssystem aber nur so nebenbei mitgenommen, will ja irgendwie am Leben gehalten werden. Zu oft werden die unglaublichen Schlangen vor den Toren der, aufgemerkt, Banken und Sparkassen in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1990 vergessen. Währungsunion! Da war die Situation schon weitgehend unter Kontrolle, da wurde nicht einfach durchgewunken, Westgeld gab es nur gegen Bankkarte bei angemessenem Kontostand. Nebenstehende Bebilderung ist natürlich eine grobe Verkürzung. Auch Autos, Möbel und Videorekorder gehörten zu den angestrebten Glückgütern. Das alles ist nicht verwerflich, nur eben unbefriedigend vertont. Deshalb soll Gitte Haenning, die immerhin eine anständige Musikerin ist (und das trotz ihrer Duette mit dem viel zu früh verblichenen Rex Gildo), die Bardin der Wende sein. Ihr wunderbares „Ich will alles“ möge zu den Bildern der Mauereröffnung erschallen, das kongeniale Cover „Lampenfieber“ zu jedem beliebigen Politikerauftritt jener Zeit, „Freu dich bloß nicht zu früh“… aber das ist natürlich selbsterklärend.

■ Gitte Haenning und Band: 11. November, 20 Uhr, Tipi am Kanzleramt, Große Querallee, ab 24 Euro