: Großes aus Kleinem
STARTHILFE Mikrokredite helfen nicht nur den Menschen in den Entwicklungsländern. Sie sind auch in Deutschland angekommen
VON TILMAN VON ROHDEN
Sylvia Höhentinger steigt anderen ständig aufs Dach. Allerdings ohne dabei Rabatz zu machen. Sie ist Südbayerns erste zertifizierte Reinigerin für Solaranlagen und mit ihrer Geschäftsidee ganz vorne dran. Für die neuartige Dienstleistung machte sie sich selbstständig und stieß auf ein übliches Problem: Das Geld für Anfangsinvestitionen fehlte. „Brutal gute Ideen“, so Höhentinger, würden oft an herkömmlichen Banken scheitern, denen die „Philosophie“, der eigene „Traum“ kaum zu vermitteln sei. Höhentinger nahm deshalb einen Mikrokredit auf, berichtet sie im Internet. „Ohne viel Trara“ sei sie an das notwendige Startkapital herangekommen, das sie für den Kauf von Reinigungsgeräten benötigte.
Bürgschaft statt Sicherheit
Ohne den Mikrokredit hätte Höhentinger möglicherweise ihre Selbstständigkeit nicht verwirklichen können. Herkömmliche Banken interessieren sich in erster Linie für Sicherheiten, die der Kreditnehmer in Form von Bürgschaften, Sachwerten und Kapital leisten muss. Ein Mikrokredit funktioniert anders: Nach allen Regeln der Kunst ausgearbeitete Businesspläne, die ein Szenario über mehrere Jahre detailliert und mit Zahlen unterlegen und beschreiben, sind meist nicht notwendig.
Der Fallstrick namens „bankübliche Sicherheitsleistungen“ wird unkonventionell gelöst: In der Regel reichen kleine Bürgschaften von haftenden Freunden oder Bekannten. Zudem gibt es immer mal wieder bewilligte Mikrokredite, die weder mit Bürgschaften noch mit Eigenkapital unterlegt sind. „Gerne gesehen sind bei uns auch Referenzbürgen“, sagt Julica Ruhrmann, verantwortlich für Mikrokredite bei der Hamburger Lawaetz-Stiftung. Referenzbürgen garantieren für einen anderen Menschen, nicht für sein Kapital. „Diese Art Bürgen sind ein Indiz bei der ganzheitlichen Beurteilung des Kreditinteressierten“, sagt Ruhrmann. Wichtig sei ihr, den Menschen hinter dem Geschäft kennenzulernen, denn die persönliche Beziehung mache das Geschäft kalkulierbarer. Mit ihrer Arbeit sei immer die Wertschätzung des Gegenübers verknüpft. „Wir haben Kunden, die gerade deswegen zu uns kommen und nicht zu einer Bank gehen wollen.“ Und das, obwohl ein Mirokredit im Vergleich zu einem konventionellen Kredit relativ teuer ist. Aktuell liegt der jährliche Zinssatz bei effektiv 8,9 Prozent. Eine Nachfrage besteht dennoch, weil viele dieser Menschen als im Fachjargon „nicht bankfähig“ gelten. „Umso genauer schauen wir uns den Menschen an“, sagt Ruhrmann. Außerdem würde die maximal zulässige Kreditsumme von 20.000 Euro praktisch nie ausgeschöpft. Oft würden Stufenkredite ausgezahlt: Wird der erste Kredit pünktlich beglichen, kann der nächste höher ausfallen.
Kreditnachfrager werden von sogenannten Mikrofinanzinstituten wie der Lawaetz-Stiftung betreut. Die meist kleinen selbstständigen Institute gehen mit ihrer Arbeit erhebliche Risiken ein: Fallen Kredite ganz oder teilweise aus, haften sie mit bis zu 20.000 Euro.
Den Instituten droht aber schon lange vorher Ungemach: Wenn sich vermehrt auch nur leicht verspätete Kredittilgungen angehäuft haben, setzen Zwangsmaßnahmen ein, bis dahin, dass ihnen weiteres Geschäft untersagt wird. Derzeit gibt es bundesweit rund 60 Institute.
Sie entscheiden über die Vergabe eines Mikrokredits und tragen im Wesentlichen das Risiko, wenn es schiefläuft. Die Interessenten für einen Mikrokredit haben ausschließlich mit ihrem frei gewählten Institut zu tun. Die GLS-Bank, die im Hintergrund für den Geldfluss sorgt, tritt erstmalig und dann nie wieder anlässlich der Unterzeichnung des Kreditvertrages in Erscheinung.
Mikrokredite können nicht für private Zwecke genutzt werden. Die Unternehmen, die sie in Anspruch nehmen, haben meist nur sehr wenige Mitarbeiter, wenn überhaupt. Auch Existenzgründer können sich um einen Mikrokredit bemühen. Die Kredithöhe liegt im Durchschnitt bei 6.000 Euro. Bis zur Auszahlung dauert es weniger als einen Monat.
Sozialer Mehrwert
Mikrokredite sieht die GLS-Bank als einen Aspekt nachhaltigen Wirtschaftens. „In erster Linie wird ein sozialer Mehrwert geschaffen: Kleinstunternehmen können aus prekären Situationen herauswachsen, Arbeitslose erhalten eine neue Chance, Unternehmen werden gegründet, neue Arbeitsplätze entstehen“, sagt Falk Zientz, Leiter des Mikrokreditgeschäfts bei der GLS-Bank. Aus den Einlagen der Bank würden die Mirokredite finanziert. „Was gewachsen ist, halten wir für gut, wobei der Bedarf noch lange nicht gedeckt ist“, resümiert Zientz.