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Archiv-Artikel

Lebensgefährliche Trickser

Fresszellen töten Bakterien – aber nicht immer: Manche Mikroben nutzen ausgerechnet die körpereigene Immunabwehr, um sich durch sie zu vermehren. Bonner Zellbiologen untersuchten das Phänomen anhand einer Lungenerkrankung bei Fohlen

VON HOLGER ELFES

Alarm in der Pferdelunge! Ein Bakterium wurde mit der Atemluft in die Bronchien gesaugt. Schon rückt die Immunabwehr an, um den Eindringling unschädlich zu machen. Angelockt von Bakterien typischen Substanzen, die den Eindringling umgeben, finden die „Makrophagen“ genannten Fresszellen ihren Weg.

Fresszellen sind effektive Waffen des Immunsystems bei Mensch und Tier. Manche Bakterien können sich aber sogar in den Fresszellen vermehren. In einer aktuellen Arbeit zeigen Zellbiologen der Universität Bonn, mit welchen Tricks die Mikroben vorgehen: Die Erreger verhindern, dass sie in den „Magen“ der Makrophagen gelangen, der ihnen Schaden zufügen könnte.

Sobald Fresszellen den Eindringling aufgespürt haben, stülpen sie einen Teil ihrer Zellmembran wie eine Kapuze über das Bakterium, wodurch eine Art Membransack entsteht. Dieser wiederum schnürt sich ins Innere des Makrophagen ab und ist nun der Ort, auf den sich das ganze Waffenarsenal der Fresszelle konzentriert: Der Quarantäne-Sack wird mit Sauerstoffradikalen und Säure geflutet. Andere Membransäckchen verschmelzen mit ihm und konfrontieren die Mikrobe mit aggressiven Verdauungsenzymen. Wenige Stunden nach den ersten Alarmzeichen ist von dem Bakterium nichts mehr zu sehen, die potenzielle Gefahr ist gebannt. Soweit der Normalfall.

Eine ganze Reihe von Krankheitserregern hat sich darauf spezialisiert, es sich ausgerechnet in jenen Makrophagen gemütlich zu machen. Einer dieser Erreger ist Rhodococcus equi. Das Bakterium kann in jungen Fohlen eine Lungenerkrankung auslösen, die der menschlichen Tuberkulose sehr ähnlich ist. Wenig überraschend daher, dass Rhodococcus equi mit dem Tuberkelbazillus Mycobacterium tuberculosis eng verwandt ist. Da die Makrophagen in der Pferdelunge das Hauptziel von Rhodococcus sind, findet man dort während einer Infektion viele von ihnen.

Im Bonner Institut für Zellbiologie haben Eugenia Fernandez und Marco Polidori in der Arbeitsgruppe von Albert Haas untersucht, wie die Rhodokokken es anstellen, nicht nur zu überleben, sondern sich in den Fresszellen sogar noch vermehren. Dabei zeigte sich, dass die Bakterien nach der Aufnahme durch den Makrophagen eine Art Bremsklotz einlegen und die Verschmelzung des sie umgebenden Säckchens mit anderen Säckchen verhindern. Dadurch sind die Erreger gar nicht erst den vielen Verdauungsenzymen ausgesetzt und verhindern die Versäuerung ihres neuen „Biotops“: „Die Rhodokokken manipulieren quasi ihre Wirtszelle, um es sich so in einer säure- und verdauungsenzymlosen Umgebung bequem zu machen und sich dort zu vermehren“, so Haas. Innerhalb weniger Tage nach Beginn der Infektion sterben die Makrophagen an der Infektion: Sie fallen auseinander und entlassen die vervielfachten Erreger.

Die Bonner Zellbiologen haben bereits vorher zeigen können, dass dieser Zelltod „nekrotisch“ ist. Das bedeutet, dass Zellbestandteile austreten und damit weitere Immunzellen anlocken und aktivieren. Letztlich kommt es zur Entzündung und Gewebeschädigung. „Es könnte sein, dass die Rhodokokken das gar nicht so ungern haben“, meint Haas, „denn dann können sie sich gleich einen vorbeikommenden frischen Makrophagen schnappen und sich darin wieder einnisten.“ Als nächstes wollen die Bonner Zellbiologen der Frage nachgehen, welche bakteriellen Eigenschaften dafür wichtig sind, die Verschmelzung der Quarantäne-Säckchen zu verhindern.

Rhodokokken können auch bei AIDS-Patienten tuberkuloseartige Erkrankungen verursachen und zum Tod führen. „Das ist ebenfalls ein Aspekt, der für unsere Arbeit wichtig ist“, betont Haas, „wir gehen davon aus, dass unsere Forschungen dazu beitragen können, die Tuberkulose beim Menschen besser zu verstehen.“ Anders als Fohlen brauchen sich jedoch die allermeisten Menschen vor dem Erreger nicht zu fürchten: „In jeder Schaufel Erde einer betroffenen Pferdefarm finden sich Abermillionen Rhodokokken, und trotzdem kommt es fast nie vor, dass einigermaßen gesunde Menschen daran erkranken.“