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Archiv-Artikel

Der klimpernde Meister

Sekte oder nicht? In Dortmund gab der umstrittene indische Guru Sri Chinmoy ein grelles Konzert

Anfällig sind vor allem einsame Menschen, die ihren Beruf verloren haben

VON NORBERT NOTH

Der alte Mann da vorne mit dem erdbraunen Gesicht im kahl geschorenen Kopf, das ist Sri Chinmoy. Gerade ist er im weißen Gewand auf die Bühne der Dortmunder Westfalenhalle geschlichen, hat sich kurz am Hinterkopf gekratzt, und ist dann in einem Sessel in der Bühnenmitte versunken. Dort sitzt er nun in buddhahafter Pose, die Hände gefaltet, den Blick ins Nichts gelenkt. So sieht er aus, der Mann, den viele der Anwesenden als ihren Guru verehren.

Rund 2.000 Menschen sitzen artig in den Rängen, schweigen, warten. Worauf? Auf einen spirituellen Abend wohl, ein bisschen Kling-Klong und Plitsch-Platsch, mit dem im Ohr sich später besser durch den kühlen Spätsommerabend spazieren lässt. „Musik des Herzens“ hatten die Plakate versprochen, die wochenlang an Litfaßsäulen und Bretterzäunen pappten. Die himmelblauen Plakate zeigten eben jenen Mann, Sri Chinmoy, wie er weltentrückt ein fremdländisches Instrument bedient. Und baten zu einem Konzert, das kostenlos sei, und „das Sie nie vergessen werden“, wie die dazugehörige Homepage pries. Wer aber ist dieser Mann, der so gütig ist, die Welt mit einem kostenlosen Konzert zu beglücken?

Ein paar Tage zuvor: Die Suche im Internet führt schnell auf die Seite der freien Enzyklopädie Wikipedia. Dort wird Chinmoy, ein in Amerika lebender Inder, als Guru bezeichnet. Er sei Anführer einer Bewegung, die alle Merkmale einer Sekte trage. Aha, denkt man sich, liest weiter und hat etwas später den Eindruck, Chinmoy sei eine Mischung aus Uri Geller, Obelix und Goethe: Mehr als 150.000 Bilder soll der 73-Jährige gemalt, rund 10.000 Gedichte und 700 Bücher geschrieben haben. Außerdem verfüge er über unermessliche Kräfte: So soll er zum Beispiel einen Elefanten gestemmt haben – einarmig, wie sich später noch herausstellen wird.

Derlei Wundergeschichten sind es, mit denen Chinmoy auch bei seinem Dortmunder Konzert am Dienstagabend für sich wirbt. Noch bevor er auf die Bühne tritt, wird per Filmeinspielung gezeigt, worauf Chinmoy offenbar mächtig stolz ist: Man sieht ihn wie er vermeintlich Menschen und Elefanten hebt, man sieht ihn zeichnen, musizieren und noch viel öfter sieht man Chinmoy mit Prominenten: mit Gorbatschow, Kofi Annan, Papst Johannes Paul II., Nelson Mandela, Lady Di. Das Schaulaufen suggeriert: Wer so viel bekannte Bekannte hat, kann ja gar kein Sektenanführer sein. Oder hätte Papst Johannes Paul II. einem zwielichtigen Guru die Hand geschüttelt?

Vermutlich nicht – wenn ihm gewahr gewesen wäre, wer da vor ihm steht. Sabine Riede vom Essener Verein Sekten-Info, der landesweiten Beratungsstelle für Sektenopfer, kennt diese Masche. Wenn jemand mit einer Friedensbotschaft komme oder mit einem Geschenk, erhalte er unter Umständen auch eine Audienz beim Papst, erzählt sie. Riede weiß auch davon, dass sich Chinmoy gerne als Meditations-Beauftragter der Vereinten Nationen bezeichnet. Dabei soll er einfach nur einen Raum angemietet haben, der sich in einem Gebäude befindet, das der UNO gehört.

Riede hat Menschen kennen gelernt, die zu Chinmoys Anhängern zählten – aber irgendwann ausgestiegen sind, weil sie den Druck nicht mehr aushielten. Wer Chinmoy verehrt, sagt sie, muss sich unterwerfen, muss ihn als Gott anbeten, ein zölibatäres Leben führen. Frauen, heißt es, die als Schülerin Chinmoys schwanger geworden sind, wurden zur Abtreibung gezwungen. Die Zahl derer, die sich in Deutschland solchen Regeln unterwerfen, schätzt Riede auf rund 300, weltweit sollen es 3.000 sein. „Besonders anfällig sind einsame Menschen, die vielleicht gerade ihren Beruf verloren haben“, sagt Riede. In der Gemeinschaft fühlten sie sich dann wieder wohl. Zunächst.

In Nordrhein-Westfalen existieren zwei so genannte Sri-Chinmoy-Zentren, eines in Köln, das andere in Dortmund. Weiter südlich, in Heidelberg, besitzt Chinmoy einen Tempel, eine weiße, am Hang gelegene Villa, wo er angeblich haust, wenn er in Deutschland ist. Dass der Meister, wie er von seinen Schülern genannt wird, nach langer Zeit wieder klampfend und klimpernd durch Deutschland zieht, hat einen triftigen Grund: „Ihm laufen die Anhänger weg“, sagt Riede. Die Konzerte wären vor allem Werbeveranstaltungen, um neue Mitglieder anzulocken.

Nach zehn, fünfzehn Minuten muss man sich aber dann doch fragen, wer sich freiwillig solchen Klängen aussetzt. Der Strom zorniger oder bloß belustigt kichernder Menschen reist nicht ab, haufenweise Besucher verlassen den Saal. Im Foyer raunt ein Mann um die fünfzig mit Oberlippenbart und Herrenhandtasche, dass es unglaublich sei, was für ein Schmus einem hier angedreht werden solle. In der Halle hat Chinmoy seinen Körper gerade hinter einen Synthesizer bugsiert. Nach einem kurzen Moment der Andacht beginnt er wild über die Tasten zu fahren, mal drückt er gleich fünf von ihnen mit der Faust, mal spurten seine Finger scheinbar wahllos hin und wieder her. Intuitiv werden es nachher einige nennen, schrecklich die anderen. „Lassen Sie Ihren Seelenvogel fliegen“, hatte Dinesh, einer der beiden Leiter des Dortmunder Chinmoy-Zentrums, vor dem Konzert gesagt. Seelenvogel möchte man aber lieber nicht sein, wenn die Luft voll ist mit dieser, nun ja, Musik.

Chinmoy ficht das nicht an. Stoisch wendet er sich dem nächsten Instrument zu, irgendwann singt er, dann singt ein Chor in bunte Tücher gewandeter Frauen. Dinesh wird nachher sagen, dass es gerade das sei, was ihn so fasziniere: „Da ist einer, der ist einfach gnadenlos, der zieht das durch, auch wenn die Leute gehen.“ Auf die Frage, ob die Chinmoy-Bewegung eine Sekte sei, winkt Dinesh nur ab. Sowas würden Priester sagen, denen die Menschen weglaufen. Wenn man so wolle, führten sie ein „mönchisches Leben im Weltlichen“, gingen also ganz normalen Berufen nach. Dinesh selbst ist gelernter Feinmechaniker. Aber auch Professoren oder Rechtsanwälte gehörten dazu. Tagsüber gehen sie arbeiten, in ihrer Freizeit meditieren sie viel, führen ein enthaltsames Leben ohne Sex und Drogen.

Chinmoy ist eine Marketingmaschine. Auf Tischen im Foyer werden Bücher und DVDs feilgeboten, kleine Zettel laden dazu ein, im Dortmunder Sri-Chinmoy-Zentrum das Meditieren zu lernen. Hier, bei den wesentlich intimeren Treffen, beginne die eigentliche Gefahr, warnt Sekten-Expertin Riede.

Das Konzert ist vorbei. Chinmoy steht vorn an der Bühne, knapper Applaus brandet auf. Und draußen schreibt eine Frau auf die ausliegenden Ihr-Kommentar-zum-Konzert-Zettel auf die Frage, ob sie spezielle Erlebnisse während des Konzerts gehabt habe: „Nein – eher nicht!“