: Kollektiver Filmriss
Wie betäubt taumelten die Spieler von Hannover 96 durch die ersten 30 Minuten der Partie gegen den VfL Wolfsburg. Am Ende verloren die Hannoveraner mit 2:4 und fragen sich jetzt, ob sie diese Saison den Klassenerhalt hinkriegen
Angst der „Roten“ von Hannover 96 vor dem zuschauenden roten Innenminister Otto Schily wird es wohl nicht gewesen sein. „Das war ein kollektiver Blackout der Mannschaft in der ersten Halbzeit“, kommentierte Hannovers Trainer Ewald Lienen die 2:4 (1:4) Niederlage seiner Mannschaft im Niedersachsenduell gegen den VfL Wolfsburg. Tatsächlich: Fast bewusstlos, mit eingeengtem Sichtfeld, blutleer wirkten die Hannoveraner zu Beginn der Partie.„Zweikämpfe nicht angenommen und ganz einfach nicht gedeckt“, bilanzierte der Fußballlehrer Lienen im Nachhinein. Erstligatauglichkeit nicht bewiesen, setzen.
Bereits nach 28 Minuten waren die Wölfe den Hannoveranern dreimal an die Kehle gegangen. 0:3, das Spiel war gelaufen. Zwei identische Steilpässe in den Raum der linken Innenverteidigung Hannovers, eigentlich Arbeitsplatz von Dariusz Zuraw, waren ein gefundenes Fressen für den laufstarken und eiskalten Mike Hanke. Allerdings ließen Zuraws Vorderleute das Wolfsburger Mittelfeld um D‘Allessandro „von Beginn an zu sehr zur Geltung kommen“, so Lienen.
Filmriss, totaler Verlust des taktischen und fußballerischen Gedächtnisses: Die Hannoveraner wirkten wie Schüler, die wochenlang auf eine Prüfung hinarbeiten und in der Prüfungssituation vor Angst das Gelernte nicht reproduzieren können. Bereits in den ersten zehn obligatorischen Abtastminuten zeigten sich die Wolfsburger angriffslustiger und hungriger, die 96er dagegen steckten in schweren Koalitionsverhandlungen mit ihrer eigenen Leistungsbereitschaft: Hannover war weiter entfernt von Gegner und Ball, zeigte nur gehemmt wirkende Versuche, diesen den Wolfsburgern abzujagen. Ungenaue Pässe landeten oft beim Gegner.
Zuordnungsprobleme in Hannovers Innenverteidigung beim Übernehmen der Wolfsburger Doppelspitze Klimowicz und Hanke, die ständige die Positionen in und vor der Abwehrreihe wechselten, waren der Anfang vom frühen Ende. Die Defensivarbeit Hannovers begann erst an der Mittellinie, während die Wolfsburger die Aufbauarbeit des Gegners bereits einige Meter in dessen Hälfte störte. Durch wesentlich höhere Laufbereitschaft stellten die VW-Angestellten ständig dort Überzahl her, wo gerade der Ball auf professionelle Behandlung wartete.
Auch nach der Pause zeigten die Hannoveraner keine wesentlich verbesserten Dauerlaufeigenschaften, wirkten doch aber bemühter. Das Anschlusstor war der Lohn der Bemühungen, blieb aber nur Kosmetik ohne Tiefenwirkung.
„Mit einer solchen Leistung sehe ich schwarz für die Bundesliga“, kommentierte Hannovers Ex-Wolfsburger Thomas Brdaric den Blackout seiner Mannschaft in der ersten Halbzeit. 96 steht nach diesem Spiel auf Platz 13 der Tabelle. Aber es war ja auch erst der sechste Spieltag.
Jörg Heynlein