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Archiv-Artikel

Lächelnder Spurensucher

Klagelieder (fast) ohne Worte: Anthony Coleman spielt im Westwerk Stücke von Mordechaj Gebirtig

Von aldi

Ob er wirklich der beste Pianist New Yorks ist, wie die Veranstalter vollmundig glauben machen wollen? Dahingestellt – und die Konkurrenz ist ja auch eine große in der Stadt, von der es heißt, sie schlafe nie. Dass Anthony Coleman ein gern gesehener Gast ist im Westwerk, ist keine Übertreibung: Etliche Male ist er in den vergangenen 20 Jahren dort aufgetreten – und hat sich dabei nie wiederholt: Jeder Auftritt offenbarte bloß eine neue Facette seines vielseitigen Schaffens.

„Ich habe viel zu tun, tonnenweise Projekte“, sagte Coleman einmal. „Das ist eine Art New York-Klischee.“ Und damit kennt er sich aus, könnte man meinen: Immer wieder hat Coleman sich im Lower-Eastside-Paralleluniversum von Knitting Factory und John Zorns „Radical Jewish Culture“-Bewegung, Lärm, Jazz und Freestyle-Musikgeschichtsunterricht bewegt; da also, wo alle in immer neuen Permutationen neue Aktivitäten ausbilden.

Diesmal bringt Coleman nicht sein doppelbödiges Latin-Jazz-Trio Los Professionales mit, um „muskulöse Musik“ zu spielen, und auch nicht Sephardic Tinge, jene Band, mit der er den wenig bekannten Musiktraditionen der sephardischen Juden nachspürte. Aber wiederum begibt er sich auf eine scheinbare Spurensuche: Eher durch Zufall ist er in Krakau auf Liederbücher des 1877 dort geborenen Möbeltischlers und Dichters populärer jiddischer Volkslieder Mordechaj Gebirtig gestoßen. Dessen schier unzählige Klage-, Kinder-, Liebes- und sonstigen Lieder (beinahe) ausschließlich instrumental wiederzugeben, darin sieht Coleman eine besondere Herausforderung. Und ein Konzert in der Kupa-Synagoge, „nur ein paar Blocks entfernt von Gebirtigs Wohnhaus“, nannte er „einen Höhepunkt meiner Karriere“.

Weil Coleman sonst aber nicht er selbst wäre, wird er auch dieses Programm wieder aufbrechen und mit eigentümlichen Verwandschaftsbeziehungen anreichern – zum Jazz, zur freien Improvisation –, aber all das voller verschmitztem Respekt. aldi

Fr, 23.9., 20 Uhr, Westwerk