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Archiv-Artikel

kuckensema „Suddenly Naked“ von Anne Wheeler / Eine kanadisch, literarische Romanze?

Der einfachste und sicherste Trick beim Filmemachen besteht darin, dass man den Protagonisten sympathisch macht. Immerhin soll sich das Publikum ja mindestens 90 Minuten lang so für ihn oder sie interessieren, dass es gespannt der Geschichte folgt. Romantische Komödien etwa funktionieren nur dann, wenn die ZuschauerInnen sich auch ein wenig in die beiden Verliebten verkucken können. Die kanadische Filmemacherin Anne Wheeler hat es sich bei ihrem Film „Suddenly Naked“ selber schwer gemacht, indem sie ihre „Heldin“ gleich von der ersten Einstellung an so egozentrisch, arrogant und kaltherzig zeichnet, dass man ihr nur das Schlimmste wünscht. Bis zum letzten Akt funktioniert der Film dann auch auf dieser Ebene, und man kann sich, wenn auch nicht gerade auf höchstem komödiantischen Niveau, über ihre zahlreichen und peinlichen Missgeschick amüsieren. Doch dann macht sie die für die Hollywood-Dramaturgie typische Läuterung durch, nach der jede Filmfigur reif für ein Happy End ist. Und hier hat sich die Regisseurin verschätzt, denn ans Herz wächst einem diese Frau auch dann nicht mehr, wenn sie plötzlich ganz lieb ist.

Ihr Name ist schon Programm, denn die 39jährige Jackie York ist nicht nur ein elegantes Biest, das wie aus einer Soap-Opera a la Dallas zu stammen scheint, sondern sie schreibt auch noch selber entsprechende Romane. Als erfolgreiche und attraktive Frau ist sie sexuell in einer Machtposition, und schlachtet ihre One-Night-Stands am nächsten Morgen genüsslich mit demütigenden Sprüchen und gnadenlose Eintragungen in der Bewertungsliste auf ihrem Computer aus. Wie alle SchriftstellerInnen in Filmen leidet auch sie natürlich unter einem „Writer¥s Block“, und um so mehr bewundert sie den Text eines Kollegen, mit dem sie ständig E-mails austauscht, bis sie sich in einem Cafe treffen und der so abgeklärt, erfahren und erwachsen schreibende Patrick sich als 20jähriges Jüngelchen entpuppt. Zwischen beiden funkt es natürlich, obwohl sie in völlig verschiedenen Welten leben. Während er auf der Straße mit Fackeln jongliert, bereitet sie sich auf ihre Lesung beim Treffen des Pen-Clubs vor, und während er die Qualität des Essens dadurch bewertet, dass er eine Nudel an die Decke wirft (wenn sie nicht kleben bliebt, ist sie gar), bestellt sie in teuren Restaurants für ihn foie gras. Solche Szenen haben ein paar schöne Pointen, aber zu oft gleitet das Drehbuch in die Untiefen der Klamotte. So wird etwa Patricks Blase arg strapaziert, wenn er sich in Jackies Schlafzimmer vor einem Fernsehteam verstecken, das im Wohnzimmer ein Porträt von ihr dreht. Anne Wheeler holt sich ihre Lacher, wo sie sie kriegen kann, aber dadurch kann sie nicht immer die Löcher im Drehbuch stopfen.

Man begreift etwa nie, warum Patrick sich in Jackie verlieben konnte. Die beiden wirken zusammen auf der Leinwand nicht wie ein glaubwürdiges Paar, sondern eher wie die Illustration des Konzeptes, dass nicht nur ältere Männer und junge Frauen sich ineinander verliben, sondern dass auch das Gegenteil möglich ist. Und es wird etwa nie klar, ob Jackie und Patrick gute Schriftsteller oder Kitschschreiberlinge sind. Zwar kann man über lange Strecken „Suddenly Naked“ als eine Satire auf den Literaturbetrieb ansehen, in der die Absurditäten der Branche genau getroffen wurden. Aber dann werden Jackies Schreibbemühungen doch wieder so ernst genommen und gefeiert, als wäre sie keine Joan Collins sondern eine Margaret Atwood. Mit einem ewig langen Lauf durch den Regen zur endlich erkannten Geliebten hin, bei dem am Ende die Kleider in Fetzen hängen, ist auch das konventionelle Happy End ein Witz, der aber eher unfreiwillig komisch wirkt, denn man wartet vergeblich auf einen ironischen Bruch. Es ist, als hätte Anne Wheeler, die zum Beginn des Films ihre Protagonistin mit so viel Boshaftigkeit zeichnete, zuletzt jede Distanz zu ihr verloren, sodass der Film wie einer von Jackie Yorks Romanen endet.

Wilfried Hippen