: Belastende Bänder
Journalistenmord in der Ukraine: Ex-Präsident Kutschma gilt als einer der Täter. Wird er von ganz oben gedeckt?
Die Ausführungen von Grigori Omelschenko ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Der frühere ukrainische Präsident Leonid Kutschma sei einer der Drahtzieher des Mordes an Georgi Gongadse. Das gleiche gelte auch für den Vorsitzenden des Parlaments Wladimir Litwin, der deswegen von seinem Posten entbunden werden müsse, forderte Omelschenko am Dienstag. Er ist Vorsitzender eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die näheren Umstände des Mordes an dem regimekritischen Journalisten aufklären soll und jetzt seinen Abschlussbericht vorlegte.
Gongadse, Mitherausgeber der Internetzeitung „Ukrainska Pravda“, war am 16. September 2000 verschwunden. Im November wurde in einem Wald bei Kiew eine kopflose, mit Säure übergossene Leiche gefunden, die Monate später als die Gongadses identifiziert wurde. Kurz darauf machte der Chef der Sozialistenpartei, Alexander Moros, illegale Tonbandmitschnitte öffentlich, die ein früherer engerer Geheimdienstmitarbeiter des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma mitgeschnitten hatte. In den aufgezeichneten Gesprächen unterhalten sich drei Männer darüber, wie man Gongadse beseitigen könne. Die Stimmen wurden Kutschma, dem damaligen Innenminister Juri Krawtschenko sowie dem heutigen Parlamentsvorsitzenden Wladimir Litwin zugeordnet.
Bis zur orangenen Revolution im vergangenen Herbst passierte im Fall Gongadse – außer verschleppten Ermittlungen – nichts. Im Januar 2005 kündigte der neue Präsident Wiktor Juschtschenko vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an, den Mord von der Generalstaatsanwaltschaft neu untersuchen zu lassen. Am 5. März wurden zwei Angehörige der Sicherheitskräfte verhaftet. Einen Tag vorher, wenige Stunden vor seiner Vernehmung, war Juri Krawtschenko erschossen aufgefunden worden – Selbstmord lautete die offizielle Version.
Bereits 2002 und 2003 habe der Ausschuss der Generalstaatsanwaltschaft Material übergeben, sagte Omelschenko. Dieses beweise eindeutig, dass Kutschma, Litwin, Krawtschenko und der damalige Chef des Geheimdienstes SBU, Leonid Derkach, hinter dem Mord stünden. Die Staatsanwaltschaft habe jedoch nicht reagiert.
Auf die Frage einiger Abgeordneter, warum auch die neue Macht untätig geblieben sei, antwortete Omelschenko: „Dafür braucht es einen festen politischen Willen.“ Das zielte direkt auf Wiktor Juschtschenko. Angesichts der Entlassung der Regierung Timoschenko und der Ablehnung ihres Nachfolgers Juri Jechanurow durch das Parlament läuft der Held der orangenen Revolution Gefahr, jetzt noch weiter an Zustimmung zu verlieren. BARBARA OERTEL