: Das Machbare der Macht
Der Weg der Grünen zur parlamentarischen Kraft ist ohne den heimlichen Parteichef Joschka Fischer nicht denkbar. Der Preis dafür war hoch – eine autoritär fixierte Politik
Nein, auch künftig müssen wir sie nicht entbehren, die scharfzüngigen, nie um eine treffende Metapher verlegenen Interventionen des künftigen Abgeordneten Joschka Fischer. Seine Ankündigung, aller Ämter zu entsagen, steht unter dem Vorbehalt des „Wenn nicht“. Aber sie ist ernst gemeint. Und Fischer ist Realist genug, um seine realpolitischen Lektionen auf die eigene politische Zukunft anzuwenden.
Joschka Fischer war, ist und bleibt ein „politisches Tier“, eine staunenswerte Begabung. Aber ist er Fleisch vom Fleisch derer, die auszogen, um Umstürzlerisches zu wagen, nämlich die Republik nach ökologischen, friedlichen und demokratischen Prämissen umzumodeln?
Zu den Grünen kam Fischer als Seiteneinsteiger. Er zog frühzeitig die Konsequenz aus dem Scheitern des Unternehmens, die Revolte der 60er-Jahre in die Fabriken und in die Wohnviertel der Minderbegüterten zu tragen. Er betrat ein Terrain, das im Vergleich zu den späten 60er-Jahren vollständig umgepflügt war. Die radikalen Linken dachten, alles werde möglich, wenn die Macht des Kapitals gebrochen sei. Die ökologische Bewegung hingegen glaubte, dass fast nichts mehr möglich sein werde, wenn mit dem Kurs der Naturzerstörung und Ressourcenverschleuderung fortgefahren werde. Entsprechend dominant war der apokalyptische Grundton, die Unbedingtheit, der „Sofortismus“ in den sozialen Bewegungen jener Tage.
Fischer und seine Frankfurter Freunde stellten sich beim Eintritt in die Grünen eine einzige Frage: Können die Grünen eine politische Partei werden? Und, daraus folgernd, wie ist es möglich, die dringlichsten grünen Forderungen so in den politischen Raum einzubringen, dass sie schrittweise mehrheitsfähig werden? Der einzige Weg, dies zu erreichen, war das Bündnis mit einer Sozialdemokratie, die hinreichend vom grünen Gedankengut angesteckt war, um ihre traditionelle Fixierung auf das Machbare, auf die technischen Produktivkräfte zu überwinden. Das war zu Ende der 80er-Jahre der Fall.
Fischers Erfolg als grüner Politiker ist eng mit der Umwandlung der Grünen in eine politisch-parlamentarische Reformpartei verbunden. Dieser Prozess war sicher unvermeidlich, wurde allerdings mit zwei wesentlichen Einbußen erkauft. Über den Jordan ging erstens die enge Bindung an die außerparlamentarischen sozialen Bewegungen, also die Ökologie-, Friedens- und Menschenrechtsbewegung. Dieser Verlust war nicht gesetzmäßig mit der Parlamentarisierung der Grünen verbunden. Er resultierte vielmehr daraus, dass Politik aufs Parlament verkürzt wurde. Die Beziehung des parlamentarischen zum außerparlamentarischen Kampf ist zugegebenermaßen eine schwere Sache. Aber im politischen Getriebe haben die Grünen diese Beziehung gekappt – woran Fischer sein gerüttelt Maß an Verantwortung trägt.
Auf der Verlustseite steht zweitens eine neue Form des politischen Miteinanders, die, von den Grünen praktiziert, zu einem Wandel in der politischen Kultur der Bundesrepublik geführt hat. Es ging und geht um Gleichberechtigung der Geschlechter, um politische Umgangsformen, die von Geduld und Empathie gekennzeichnet sind, also Zeit kosten. Es ging auch um die Autonomie der Basisorganisationen, das Recht jedes einzelnen Mitglieds auf Gehör. Und es ging schließlich um ein gesundes Misstrauen gegenüber Autoritäten. In dem Maße, in dem die Fernsehpräsenz Fischers den Kurs der Partei beeinflusste, verkümmerte das Stimmenwirrwarr, die Revolten flauten ab, die Grünen fügten sich zunehmend in den „normalen“ Prozess innerparteilicher Meinungsbildung ein.
Zu Fischer als Autorität trug sicher sein positives Image in der Gesellschaft als Außenpolitiker bei. Hier konnten sich seine Talente frei entfalten, konnte er als Staatsmann wirken, von dessen Glanz auch die grüne Partei profitierte. Es war aber gerade die Außenpolitik, wo grüne Überzeugungen am härtesten mit vorgeblichen, aber auch wirklichen machtpolitischen Realitäten zusammenstießen. Die Grünen lebten von der Vorstellung einer „Zivilmacht Deutschland“, von Krisenprävention mit friedlichen Mitteln, von einer aktiven Menschenrechtspolitik, von der Stärkung der UNO, von der europäischen Einigung als bestem Hebel einer Entwicklungspolitik gegenüber der armen Welt. All diese Überzeugungen teilte Fischer, als er sein Amt antrat.
Nach sieben Jahren Amtszeit ist das Resultat gemischt, wobei das Jahr 1999 zum ersten Prüfstein wurde. Die rot-grüne Regierung beteiligte sich an einer völkerrechtswidrigen militärischen Intervention, dem Bombardement Rest-Jugoslawiens, dies auch noch untermalt von Fischers Menschenrechts-Demagogie, die sich nicht scheute, Auschwitz als Rechtfertigung heranzuziehen. Nach dem 11. 9. 2001 hingegen bewies Fischer Augenmaß und vor allem Standhaftigkeit. Sein Nein! zur amerikanischen Irak-Intervention war argumentativ gut begründet. Und seine nachfolgende Politik trug dazu bei, in einer ganzen Reihe wichtiger Politikfelder von der Begründung des Internationalen Strafgerichtshofs bis zum Kampf um die Unterzeichnung des Kioto-Protokolls eine Gegenposition zur amerikanischen Anti-Terror-Kriegsstrategie aufzubauen.
Diese Gegenposition ist allerdings nicht konsistent. Als Außenminister hat Fischer dazu beigetragen, dass die Möglichkeiten internationaler Krisenprävention und friedlicher Streitschlichtung in den Hintergrund rückten, dass nationalistisch-militaristische Doktrinen wie „Deutschlands Interessen werden am Hindukusch vertreten“ an Einfluss gewannen, dass schließlich die Reform der UNO, das am weitesten ausgreifende Projekt, zu einer Farce um den Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat zusammenschrumpfte.
Dass Außenpolitik auch bewegt werden kann durch Einmischung der Zivilgesellschaften, ist Fischer, dem Staatsmann, völlig abhanden gekommen. Gewiss, das Rollenspiel lautet: Hier der Außenminister samt dem ihm auferlegten Zwängen, dort die frei agierende soziale Bewegung. Aber Fischers Haltung beispielsweise gegenüber der globalisierungskritischen Bewegung hat nichts mit diesem Rollenspiel zu tun. Sie ist nicht von kritischen Argumenten geprägt, sondern von Fremdheit, um nicht zu sagen von Abscheu. Seine Reaktionen auf die polizeilichen Prügelorgien in Genua bei den Gegendemonstrationen zum G-8-Gipfel sind hier der absolute Tiefpunkt.
Werden die Grünen in der Post-Fischer-Ära noch einen zweiten Atem schöpfen, werden sie sich aus der Umklammerung durch eine autoritär fixierte Politik befreien, werden sie es wagen, in der Opposition das Korsett ihres Verständnisses von Realität und Machbarkeit zu sprengen – und dennoch politische Partei bleiben? Vielleicht hilft ihnen Fischer dabei, der Hinterbänkler, der auf seine alten Tage den Sponti in sich wiederentdeckt. Wer weiß, vielleicht sehen wir ihn in Brüssel wieder.
CHRISTIAN SEMLER