HAMBURGER SZENE VON KRISTIANA LUDWIG : Das erste Mal
Als ich merke, dass meine Bekannte es ernst meint, muss ich lachen. Demonstrieren gehen? Sie? Wir kennen uns schon lange, doch gemeinsam gehen wir nie zu Diskussionsabenden, sondern eher in den neusten Til-Schweiger-Film. Ja, sagt sie, die Veranstaltung sei bei Facebook aufgetaucht. Und hohe Mieten seien ein Thema, über das auch sie sich ärgere.
Um Punkt 13 Uhr stehen wir auf dem Bahnhofsvorplatz und schauen uns um. Ein Paar hat aufgeklappte Pizzaschachteln mit Schnüren vor Rücken und Bäuchen befestigt. Um die Käsereste herum haben sie mit blauem Edding Sprüche geschrieben, etwa: „Stell dir vor, ein Haus steht leer und keiner wohnt drin.“ Aus der schwarzen Kapuze eines Mannes ragt der Schwanz einer Ratte. „Wir fallen hier ein bisschen raus, oder?“, sagt meine Bekannte. „Aber die Musik ist gut!“
Bald häufen sich in unseren Handtaschen Flugblätter: Anti-Atomkraft, Anti-Kapitalismus, Arbeitskampf. Ratlos blickt sie auf ihren Infozettel über hungerstreikende Kurden. „Das hat doch gar nichts mit Mieten zu tun“, sagt sie. Ich nicke.
Als sich der lange Zug der Demonstranten später zur Alster schiebt, hält sie ihr weißes iPhone in die Luft. „Davon muss ich ein Foto machen“, sagt sie. „Was hast du denn morgen vor?“ Bei Facebook habe noch ein Termin gestanden: veganes Frühstück. „Das sieht echt lecker aus.“