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Archiv-Artikel

„Ist Rot-Grün wirklich das kleinere Übel?“

Linkspartei-Vize Katja Kipping lehnt eine Tolerierung ab: „Bei Ströbele reduziert sich Linkssein auf den roten Schal“

taz: Frau Kipping, Sie sind schon sicher im Bundestag, treten in Dresden aber noch als Direktkandidatin für die Linkspartei an. Helfen Sie damit indirekt Angela Merkel?

Katja Kipping: Die Kanzlerfrage hängt nicht mehr an Dresden. Das macht den Wahlkampf natürlich leichter für uns. Je wahrscheinlicher eine große Koalition wird, umso mehr steigt meine Chance auf das Direktmandat.

Wäre Dresden entscheidend gewesen: Hätten Sie zugunsten der SPD zurückgesteckt?

Nein. Für mich steht noch der Beweis aus, dass Rot-Grün tatsächlich das kleinere Übel ist. Ich bin mir nicht sicher, ob unter Schwarz-Gelb genauso viele soziale Einschnitte durchgezogen worden wären wie unter Rot-Grün.

Es gibt nun eine linke Mehrheit im Bundestag. Ist es nicht traurig, dass man nichts damit anfangen kann?

Man müsste sich erst mal darauf verständigen, was links bedeutet. Links sein ist für mich eine konkrete inhaltliche Verortung. Ich würde mich freuen, wenn es in der Gesellschaft wieder Mehrheiten geben würde für Umverteilung von oben nach unten, für mehr Selbstbestimmung für jeden Menschen, für Hinausdenken über die Grenzen des Kapitalismus und für mehr zivilgesellschaftliches Engagement.

Und da gibt es keine Anknüpfungspunkte zu Rot-Grün?

Für mich gilt der Satz: An ihren Taten sollt ihr sie messen. Nach meinen letzten Gesprächsrunden mit so genannten Parteilinken bei Grünen und SPD bin ich da ziemlich desillusioniert. Bei Herrn Ströbele reduziert sich das Linkssein darauf, einen roten Schal zu haben.

Also keine Tolerierung?

Ja. Und das nicht, weil ich ein dogmatisches Verhältnis zu Regierungsbeteiligungen habe. Eine Zusammenarbeit kann ich mir nur mit Fraktionen vorstellen, die Nein zu Kriegseinsätzen im Ausland sagen und Hartz IV durch eine soziale Grundsicherung ersetzen. SPD und Grüne haben klar gemacht, dass es da keine Übereinkunft gibt. Leider.

Was tun Sie, wenn es zu einer geheimen Kampfabstimmung im Bundestag zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel kommt?

Auch wenn das eine personelle Entscheidung ist, gelten für mich die Positionen der Kandidaten in den gerade genannten inhaltlichen Punkten.

Sie würden also niemandem Ihre Stimme geben?

Wie gesagt: Meine Stimme ist an Inhalte gebunden.

Gilt das für jedes Fraktionsmitglied?

Wir sind als Fraktion noch nicht zusammengekommen, da kann man kein Psychogramm eines jeden Mitglieds zeichnen.

Wird es eine einheitliche Fraktionslinie geben?

Darüber werden wir sprechen, wenn es so weit ist. Aber ich hoffe, dass es nicht so weit kommt: Merkel und Schröder würden verantwortungslos handeln, wenn sie auf diesem Weg Neuwahlen provozieren. Das wirkt dann so, als ob man die Wähler so lange zum Abstimmen verdonnert, bis einem das Ergebnis passt. Demokratietheoretisch ist das hochproblematisch.

INTERVIEW: KLAUS JANSEN