Kaum ist es mal ein bisschen wärmer, ist es auch wieder nicht Recht: Nicht mal Luftduschen haben die hier
Herbszeitlos
MartinReichert
Kurz nachdem die ersten Artikel über Bärlauch und die Gefahren durch versehentlichen Verzehr von Maiglöckchen durch sind, geht es los, üblicherweise mit der Geißelung der männlichen Wade durch männliche Feuilletonisten: Die Sommer- und Hitzeberichterstattung.
Ein allgemeines Wehklagen setzt nun also ein, nachdem der vielstimmige Männerchor noch einmal die angeblich Hässlichkeit des unbehosten Männerbeines besungen hat – wobei einmal mehr, wenn nicht gar alljährlich darauf hingewiesen werden muss, dass es eben einerseits auf die Beschaffenheit der Wade ankommt (oh, es gibt durchaus sehr ansprechend geformte und auch hübsch behaarte) und es sich andererseits bei einer solchen Betrachtungsweise um einen Klassiker der verklemmt-verschwitzten Homophobie im eigentlichen Sinne handelt: Welchen Grund sollte es sonst geben, die körperliche Beschaffenheit des eigenen Geschlecht so obsessiv zu geißeln?
Aber ach, wenn es nur dabei bliebe. Kaum steigt das Thermometer mal über 28 Grad, bricht mindestens der „Jahrhundertsommer“ aus und monströse „Hitzewellen“ rollen heran. Die statistischen Messgeräte brennen durch und spucken schlimme Zahlenkolonnen aus, die davon handeln, wie der Mensch dahingerafft wird aufgrund von Hitzschlag, Kreislauf, Altersschwäche.
Bürger, die das ganze Jahr über voll des Jammers sind ob des schlechten Wetters in Mitteleuropa und stets vom Mittelmeer träumen, haben nun Todesängste aufgrund schmelzender Asphaltdecken – in Castrop-Rauxel ist es heuer schon wieder so weit. Kein Wunder, bei all der Horrorberichterstattung der Medien: „Diese vier Dinge solltest du auf keinen Fall essen bei Hitze“, heißt es hier und „So trotzen sie der Hitze“ dort. In der Welt wird davor gewarnt, dass das Gehirn in der Hitze nicht genug Sauerstoff bekommt, und in der FAZ vor steigenden Ozonwerten.
Früher oder später, die Temperaturen sind konstant, aber der Urlaub ist noch immer fern, geht es in Blätterwald und Digitalhecke dann speziell um Büromode: „Sind Sandalen nun erlaubt?“. Bei der taz kann man über solche Fragen nur milde lächeln, ist es doch hier in der Rudi-Dutschke-Straße durchaus üblich, auch Winters völlig ohne Schuhwerk, also barfuß, zur Konferenz zu erscheinen. Derweil umkreist mich der Betriebsratsvorsitzende, um ein aus der Zeit gefallen wirkendes Thermometer (womöglich eine alte Leihgabe der IG Metall) zu beobachten, „noch zwei Grad mehr“ murmelt er und irgendwas von „die Geschäftsführung“. Noch zwei Grad mehr? Bei Temperaturen von über 36,5 Grad ist der Arbeitsplatz dem Arbeitnehmer nicht mehr zuzumuten, erklärt er – man müsse dann zum Beispiel für „Luftduschen“ sorgen. Mein Ressortleiter kann da allerdings nur mit den Schultern zucken, „nie gehört“, sagt er mit einer Miene, die signalisiert, dass er jederzeit bereit wäre, Stahlwerker auch in Hallen zu schicken, die heißer sind als die Hölle.
In diesem Sinne stelle ich nun für hier und heute das Kolumnieren ein. Diese Hitze, es ist kaum auszuhalten.
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