: Albtraum in slow motion
Es knisterte in der Halle. Nach monatelangen Querelen vor Gericht hatte die wieder gefundenen Vivaldi-Oper „Motezuma“ beim altstadtherbst- Kulturfestival in Düsseldorf nun doch ihre Premiere
AUS DÜSSELDORFREGINE MÜLLER
Westlicher Eroberer trifft auf hoch entwickelte archaische Kultur und gerät in schwerste Macht- und Legitimationskonflikte: ein immer neues Thema. Doch nicht an der Aktualität des Stoffs entzündete sich der Medien-Hype um die lange verschollen geglaubte Antonio Vivaldi-Oper „Motezuma“, sondern an den gerichtlichen Querelen, die der szenischen Wiederaufführung beim Düsseldorfer altstadtherbst vorangingen.
Als der Hamburger Musikwissenschaftler Steffen Voss 2002 in der Berliner Staatsbibliothek unversehens das Fragment der Oper über den Azteken-Fürst Motezuma und den spanischen Eroberer Cortés entdeckte, ahnte er nicht, dass er mit seinem Finderglück vermintes Gelände betrat. Als Rekonstruktion und Aufführungspläne ruchbar wurden, meldeten sich unerwartet vermeintliche Eigentümer der Aufführungsrechte zu Wort. Die Berliner Sing-Akademie intervenierte und stoppte per einstweiliger Verfügung die szenische Erstaufführung seit Vivaldis Lebzeiten im toskanischen Barga, dem Koproduktionspartner der Düsseldorfer. Das mehr als 5.200 Autographen umfassende Archiv der Akademie war in Kriegswirren in Kiew gelandet, dort 1999 entdeckt und unter dem Einsatz beträchtlicher öffentlicher Mittel dem danieder liegenden Verein zurückgegeben worden. Als den Berliner Herrschaften die Aufführungspläne zu Ohren kamen, witterten sie Morgenluft. Seit Cecilia Bartolis Verkaufserfolgen mit ausgegrabenen Arien des Meisters könnte die Oper ein Garant auf Chart-Plätze in der E-Musik sein. Sie klagten um die Aufführungsrechte und bekamen in erster Instanz recht. Das Berufungsverfahren, vier Wochen vor der Düsseldorfer Premiere, befand jedoch anders: Vivaldis Oper ist „gemein frei“ und darf aufgeführt werden. Nicht nur in der Landeshauptstadt durfte man aufatmen, die ganze Alte-Musik-Szene ist betroffen, denn die Schätze des Archivs stecken in etlichen Vergleichsfällen im Wiedergeburtskanal fest.
Nun also doch Premiere in der Halle der Böhler-Werke, es knisterte förmlich im Raum, als es endlich losging. Das behutsam ergänzte, doch spürbar lückenhafte Spätwerk Vivaldis ist tatsächlich von hohem musikalischem Reiz, schier zum Bersten geladen mit Affektgehalt und kantigen Wendungen, die den Verdacht auf „Nähmaschinen-Barock“ gar nicht erst aufkommen lassen. Federico Maria Sardelli am Pult des fabulösen Spezialistenensembles „Modo antiquo“ stand dauerhaft unter Strom und lud das Geschehen mit nervös- glühender Intensität auf. Den Vorwurf der Formelhaftigkeit Vivaldi‘scher Tonkunst wischte er kraft vibrierender Lebendigkeit lässig vom Tisch.
Der Musik stand die reduzierte Regie von Uwe Schmitz-Gielsdorf wie ein mönchischer Kontrapunkt gegenüber. Die enge Guckkastenbühne, dem steilen Winkel aztekischer Pyramiden nachempfunden, nutzt er für ein Kammerspiel zwischen sechs Protagonisten, die ihre Konflikte nach innen zu pressen scheinen. Der verwickelte Plot, der die historische Wahrheit nur streift, wird als Albtraum in slow motion erzählt. Als fatale Verquick–ung von Kulturschock und persönlichen Traumata, als nicht zu lösender Konflikt von Pflicht und Neigung und als abstrahierte Parabel über erobernden Größenwahn und Machtverlust. Spektakulär unspektakulär setzt Schmitz-Gielsdorf die kriegerische Geschichte in oft statische, sich jedem Realismus verweigernde Bilder. Das ist nichts für Kulinariker, wohl aber für Liebhaber eines stillen Theaters. Ob die Vivaldi-Sensation Eingang ins Repertoire finden wird, darf trotzdem bezweifelt werden.
20:30 Uhr, 23.-25. SeptemberHalle am Wasserturm, DüsseldorfInfos: 0211-6170617