NRW-SPD-Landesgruppe sucht neuen Chef

Aufgrund des überraschenden Wahlsiegs im bevölkerungsreichsten Bundesland wächst das Gewicht der NRW-Gruppe in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Kampfkandidatur um Führung wahrscheinlich. Debatte um Clement

DÜSSELDORF taz ■ Um den Chefposten der NRW-SPD-Landesgruppe in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zeichnet sich eine Kampfkandidatur ab. Nach taz-Informationen könnten die Dortmunder Bundestagsabgeordnete Ulla Burchardt und der SPD-Parlamentarier Rolf Stöckel aus Unna gegeneinander antreten. Burchardts Berliner Büro bestätigte gestern ihre Kandidatur. Auch Stöckel zeigt Interesse an der Führung der NRW-SPD-Dependance in Berlin. „Es stimmt, dass ich in diesen Tagen von vielen gefragt worden bin und meine grundsätzliche Bereitschaft dazu erklärt habe“, so der 48-jährige Parlamentarier gestern zur taz. Ob es weitere Kandidaten geben wird, ist offen. „Wann gewählt wird, ist noch unklar“, sagte ein Sprecher der NRW-SPD-Landesgruppe auf Anfrage. Zunächst warte man die Regierungsbildung ab.

Am Wahlsonntag hatte die NRW-SPD einen Überraschungserfolg feiern können. Mit 40 Prozent lag sie nur vier Monate nach ihrer historischen Landtagswahlniederlage im bevölkerungsreichsten Bundesland wieder klar vor der CDU, die nur 34,4 Prozent in Nordrhein-Westfalen erreichte. In der 222-köpfigen SPD-Bundestagsfraktion stellen die 54 NRW-Genossen den größten Block. „Wir sind stärker als die CSU aus Bayern oder die CDU aus NRW und werden mit den fachlichen Qualitäten unserer Mitglieder und dem Rückenwind sehr guter Wahlergebnisse in NRW ein Machtfaktor in Bundestagsfraktion und Regierung sein“, sagt Rolf Stöckel.

Der Sozialpolitiker aus dem Ruhrgebiet gehört dem zentristischen „Netzwerk“ innerhalb der SPD an. Seine mögliche Gegenkandidatin Burchardt ist Mitglied der „Parlamentarischen Linken“. Wer von beiden eine Kampfkandidatur gewinnen könnte, ist unsicher. Beide Kandidaten kommen aus dem Ex-Bezirk Westliches Westfalen. „Beide sind qualifiziert, aber Ulla Burchardt hat mehr Erfahrung“, sagt ein Volksvertreter. Für die Dortmunderin spricht auch ein anderer Umstand: „Es gibt erstmals seit Jahren vielleicht tendenziell eine linke Mehrheit innerhalb der Landesgruppe“, schätzt ein Abgeordneter. Das Klischee vom konservativen NRW-SPD-Abgeordneten stimme so nicht mehr.

Der bisherige Landesgruppenchef Hans-Peter Kemper (Heiden/Kreis Borken) hatte nicht erneut für den Bundestag kandidiert. Der Vertreter der konservativen „Seeheimer“ galt stets als kanzlertreuer Verfechter der SPD-Regierungslinie. Kritik an der rot-grünen Koalitionspolitik äußerte Kemper meist nur intern. „So still und brav wie unter Kemper wird die Landesgruppe künftig nicht mehr sein“, sagt ein SPD-Abgeordneter. „Es wird in Zukunft wohl kritischer gegen die offizielle Parteilinie gehen“, heißt es.

Erstes prominentes Opfer der neuen kritischen Linie könnte ausgerechnet ein Sozialdemokrat aus Nordrhein-Westfalen werden: Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement. Politisch angeschlagen durch sein persönliches Auftreten und seine dilettantische Hartz-IV-Reform, steht der einst als „Superminister“ titulierte Clement bei einigen Genossen auf der Abschussliste. Schon bei der Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl spielte der Minister keine Rolle. „Er hat nicht nach einem Wahlkreis gefragt, und auch keinen angeboten bekommen“, hieß es im Frühsommer (taz berichtete). Auch auf der SPD-Reserveliste tauchte der Name Clement nicht auf. Sollte Gerhard Schröder Bundeskanzler bleiben und Nicht-Parlamentarier Clement erneut in ein Kabinett holen, dürfte es dagegen Widerstand in der SPD-Fraktion geben. „Clement ist Geschichte“, sagt ein Sozialdemokrat. Mit 65 Jahren habe der Ex-Ministerpräsident doch ohnehin das Rentenalter erreicht. MARTIN TEIGELER